Im Fokus einer digitalen Strategie stehen natürlich ganz besonders die digital verfügbaren Inhalte aus den Häusern. Die Arbeit mit diesen Inhalten, die strategische Planung von Digitalisierungskampagnen für Exponate, Archivalien und Dokumente, die Überlegungen zu den tatsächlichen Möglichkeiten (und der Erweiterung) der eigenen Sammlungsverwaltung ins Netz, die Konzeption von Instrumenten und Schnittstellen für die verschiedenen Nutzergruppen und die entsprechenden Inszenierungen markieren quasi ein Herzstück jeder digitalen Strategie.
Ein gelungenes Beispiel für einen reflektierten strategischen Ansatz, der ganzheitlich, nachhaltig und weitsichtig geplant und jetzt in erster Etappe umgesetzt ist, zeigt sich in der frisch gelaunchten Onlinesammlung des Deutschen Museums in München:
Das „Deutsche Museum digital“
Mit „Deutsches Museum Digital“ hat das große Münchner Museum nicht nur einen neuen Zugang zur Sammlung, sondern auch zur größten Museumsbibliothek Deutschlands, zum Archiv, dem Forschungsbereich und zu allen digitalen Angeboten des Hauses gelegt. „Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Vernetzung“ sagt Georg Hohmann, der das Projekt leitet. Seit drei Jahren arbeitet er an der Digitalisierung des Museums: „Digitale Inhalte gibt es natürlich schon länger, aber mit dem neuen Portal werden sie über einen Zugang zentral verfügbar“. Dazu hat Hohmann mit seinem Team die bestehenden digitalen Daten zunächst einmal normiert und vereinheitlicht: „Die Nutzung etablierter Normdaten, Methoden und Standards ist von großer Bedeutung“. Ein weiteres Herzstück ist die Konzeption einer semantischen Suche (kennen wir auch schon beim Städel) und die damit mögliche Vernetzung der Bestände von Objektsammlung, Archiv und Bibliothek, die die mannigfaltigen Beziehungen zwischen den physisch getrennten Abteilung erst sichtbar macht.
Open Access
Neben internationalen Standards ist „Open Access“ ein weiteres wichtiges Stichwort: „Damit wir die Inhalte den Nutzern frei zur Verfügung stellen können, müssen natürlich alle Rechtefragen geklärt sein“, so Hohmann. Bei „Deutsches Museum Digital“ stehen die Nutzer an allererster Stelle. Bei einem Forschungsmuseum sind dabei natürlich an erster Stelle die Wissenschaftler gemeint, – „aber das Portal ist auch für alle gedacht, die bei uns auf Entdeckungsreise gehen wollen“, so Hohmann. Für diese Entdeckungsreise muß man eigentlich schon wissen was man sucht, denn bislang bietet die Suchmaske „nur“ ein klassisches Suchformular und eine Handvoll Kategorien für den Einstieg. Wer sich aber über eine erste Suche den Zugang eröffnet hat und auf der ersten Ergebnisseite gelandet ist, dem bieten sich eine Vielzahl von weiteren Filtermöglichkeiten, Schlagworten, vertiefenden Informationen und Querverweisen. „Digitales Schlendern“ und „exploratives Stöbern“ ist also ab der zweiten Ebene möglich. Zitierweisen zu den einzelnen Ergebnisseiten und Hinweise auf die Nutzbarkeit der Daten fehlen zum Glück ebenso wenig, wie ein sofort verfügbarer LIDO/XML-File zur Weiternutzung der Informationen.
Erst einmal 40.000 Objekte online
Zu entdecken gibt es so einiges bei einer Sammlung mit über 100000 Objekten, bei 4,7 Kilometern Archivregalen, bei knapp einer Million Bänden in der Bibliothek. „Natürlich haben wir noch nicht alles digitalisiert“, sagt Hohmann, „aber von Notenrollen über Kraftmaschinen bis hin zu Objekten der Gründungssammlung bekommt man auf dem Portal einen guten Einblick in die Bandbreite, die wir zu bieten haben“. Zum heutigen Stand sind ca. 40.000 Objekte in der Onlinesammlung erfasst. Ein weiter Weg, den das Museum (auch mit Hilfe von Google) seit den Anfängen des Internets und der ersten Website des Hauses im Jahr 1996 zurückgelegt hat.
Ewiges Beta
„Das Portal, das wir heute offiziell öffnen, ist eine Beta-Version, noch unfertig“, sagt Hohmann, „aber fertig wird man bei so einem Projekt eigentlich nie – und wir möchten gerne möglichst frühzeitig Feedback einholen und das Portal gemeinsam mit unseren Nutzern weiterentwickeln“. Das Deutsche Museum Digital ist ein wichtiger Bestandteil der Zukunftsinitiative des Deutschen Museum, in deren Rahmen auch bis 2025 das Ausstellungsgebäude auf der Museumsinsel saniert wird und die Ausstellungen modernisiert und zum größten Teil neu gestaltet werden. „Parallel dazu machen wir den Schritt in die digitale Welt, um das Deutsche Museum auch hier als herausragenden Wissensspeicher für Naturwissenschaft und Technik zu etablieren“, so Generaldirektor Heckl.
Das Deutsche Museum ist Partner im Pilotprojekt „Museum 4.0“
Zur Zukunftsinitiative gehört auch die Partnerschaft des Deutschen Museum im Pilotprojekt „Museum 4.0 – Digitale Strategien für das Museum der Zukunft“, das der Bund im November 2016 bestätigt hat und mit fünf Millionen Euro fördert. An dem von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geleiteten Projekt sind als Partner auch das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven, die Fasnachtsmuseen Langenstein und Bad Dürrheim mit weiteren Museen der schwäbisch-alemannischen Fasnacht und das Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz beteiligt. Idee dieser Initiative ist es wohl Museen aus jeder Himmelsrichtung, möglichst verschiedener Größe und Zugehörigkeit in einer Initiative zu bündeln, um Strategien für eine möglichst breite Nutzbarkeit zu finden. „Museum 4.0 ist ein visionär ausgerichtetes Pilotprojekt“, so die Presseerklärung, „in dem innovative Anwendungsmöglichkeiten digitaler Technologien für Museumsarbeit in einem gemeinsamen virtuellen Raum entwickelt und erprobt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Themen Vermittlung, Kommunikation, Interaktion und Partizipation“. Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt.
Im Deutschen Museum hat man es sich zum Ziel genommen, digitale Technologien für die Museumsarbeit anwendbar zu machen. „Wir denken dabei zum Beispiel an Virtual Reality und Augmented Reality“, sagt Georg Hohmann: „mögliche Anwendungen wären dann virtuelle Museumsführungen per 360°-Video oder die Anreicherung realer Ausstellungen durch virtuelle Zusatzinformationen“. Im Mittelpunkt von „Museum 4.0“ steht der Besucher: Wie können modernste digitale Technologien bei der Vermittlung von Inhalten eingesetzt werden? Wie können sie die Kommunikation fördern? Wie können die Menschen in den Museen, mit ihrem Smartphone oder vom Rechner daheim aus interagieren und teilhaben? „Wir könnten uns da einen Bereich im Museum vorstellen, eine Art Labor, in dem die Besucher verschiedene Anwendungen gleich testen“, sagt Hohmann. „Dort könnten Besucher dann mithilfe einer VR-Brille erleben, wie Lilienthal seinen Gleiter gesteuert hat, sie könnten mit einem Mondauto über die Mondoberfläche fahren oder das Innenlebeneiner Dampfmaschine erkunden – bei vollem Betrieb, aus nächster Nähe.“ Allein zur Konstruktion von solchen virtuellen Objekten gibt es bereits die verschiedensten Möglichkeiten. „Welche dabei für Museen am geeignetsten ist, ließe sich in einem speziellen 3D-Labor untersuchen“, sagt Hohmann. Dabei denkt er nicht nur an technische Objekte, denn die Instrumente, die im Rahmen von „Museum 4.0“ entwickelt werden, sollen ja eben auch für andere Museen nutzbar sein.
Vielleicht gelingt es mit der Initiative „Museum 4.0“ ja die Lücke zu schließen, die die digitale Museumsarbeit in Deutschland von den Strukturen im Ausland längst unterscheidet. Hermann Parzinger, Präsident der Staatlichen Museen in Berlin, formuliert zumindest eine deutliche Einsicht: „Wir befinden uns in einer entscheidenden Umbruchphase auf dem Weg zum digital kompetenten Museum der Zukunft. Gemeinsam mit unseren Projektpartnern suchen wir nach neuen Möglichkeiten, für die Museen zusätzliche Zielgruppen zu erschließen, in stärkeren Austausch mit Besucherinnen und Besuchern zu treten und individualisierte Vermittlungsangebote zu erarbeiten. So können Museen ganz neue Wirkung entfalten (…)“. Projektleiter Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, ergänzt: „Die digitale Transformation ist aktuell eine der größten Herausforderungen für kulturerhaltende Institutionen. Museum 4.0 wird uns in die Lage versetzen, diejenigen digitalen Instrumente zu entwickeln und zu testen, die neue museale Erfahrungsräume erschließen und das Museum der Zukunft noch besser mit seinen Besuchern interagieren lassen“.
Die Sache mit den Visionen
Meines Erachtens ist die digitale Transformation schon eine ganze Weile im Fluß und der Paradigmenwechsel, gewollt oder ungewollt, deutlich fortgeschritten. Ob nun ein Label wie „Museum 4.0“ noch hilfreich und der damit markierte Schulterschluß zu entsprechenden Tendenzen in der Industrie noch wirklich notwendig ist, halte ich zumindest für diskussionswürdig. Nach Jahren der Arbeit in diesem Umfeld, unzähligen Tagungen und Konferenzen zum Thema und dem Blick auf ganze Landschaften von Häusern und Menschen, die hier echte Pionierarbeit geleistet haben, möchte ich auf das Wort „visionär“ aber beinahe mit einem Zitat von Helmut Schmidt antworten. Anstelle des Arztbesuches empfehle ich aber das intensive Gespräch mit einem der seit Jahren aktiven Online-Redakteure oder Social-Media-Strategen. Aber womöglich muß ich auch dankbar sein für eine solche Begriffswahl, denn gerade das Fehlen von (digitalen) Visionen in den deutschen Museen habe ich früher kritisiert. Vielleicht also braucht man solche Etiketten um Dinosaurier einzufangen, politische Wahrnehmung zu erreichen und Aktivitäten zu bündeln. Wir werden sehen. Das Deutsche Museum hat sich jedenfalls für eine digitale Zukunft in Stellung gebracht und wird diese Linie weiter entwickeln. Gut so.