Die Pinakothek der Moderne zitiert schon auch mal Italo Cavino und weist darauf hin, dass Klassiker Werke sind, „die jedes Mal um so neuer, unerwarteter, bahnbrechender wirken, wenn man sie wiederliest“. Und so läßt man sich nur scheinbar auf Vertrautes ein, wenn man die Reise nach Herrenchiemsee antritt und in den unvollendet gebliebenen Räumen des Nordflügels von Schloss Herrenchiemsee scheinbar vertrauten Kunstwerken begegnet. Seit 2013 schickt die Pinakothek der Moderne Kunstwerke in die Sommerfrische und huldigt, wie so oft in letzter Zeit, dem Prinzip des Reisens und des Wechsels.
Jenseits des gewohnten musealen Kontextes lädt die Pinakothek mit „Königsklasse“ auf Herrenchiemsee zur Kunstbetrachtung im Zweiklang von Historie und Natur ein. Die in den wunderbar unvollendeten Prunksälen gezeigten Gemälde, Skulpturen und Installationen von Andy Warhol, Dan Flavin, Gerhard Richter, Arnulf Rainer, Imi Knoebel, Georg Baselitz, Fabienne Verdier, John Chamberlain, Willem de Kooning oder Wolfgang Laib spannen einen erfrischenden Dialog vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Gerhard Richter und Brigid Polk
Eine Besonderheit der »Königklasse III« ist der Raum »Gerhard Richter: Brigid Polk«. Zu sehen sind drei Gemälde Richters aus dem Jahr 1971 mit Darstellungen Brigid Polks, einer zentralen Persönlichkeit aus dem Kreis um Andy Warhol. Erstmals seit der Entstehung der Gemälde sind drei (von fünf) Werken Richters mit Polk in Deutschland zusammengeführt. Die Werke sind ein eindringliches Zeugnis des künstlerischen Austauschs zwischen Europa und Amerika und bringen ein kaum bekanntes Ereignis deutscher Kunstgeschichte ans Licht. Denn während eines Aufenthalts in München hat Polk mit einer neuartigen Polaroid-Kamera Selbstbildnisse gemacht, die für Richter zum Ausgangspunkt seiner Gemälde wurden. Die von Brigid Polk experimentell erkundeten Ausdrucksqualitäten der Polaroid-Technik haben in der Folge nicht nur ihren engen Freund Andy Warhol und den Kreis von dessen Factory inspiriert, sondern auch Gerhard Richter. Dieser hat die auf akute Zeitgenossenschaft zielenden Selbstbildnisse Polks in faszinierend gleichmütiger Haltung in die klassische Gattung der Malerei überführt. So wie die Ausstellung insgesamt den wiederholten Blick auf Klassiker schärft, so wirft Richter einen zweiten Blick auf die Selbstinszenierungen von Brigid Polk.
Anlass der Präsentation ist die jüngst erfolgte Schenkung des frühesten Bildes dieser Werkgruppe aus Privatbesitz an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen durch Zustiftung an die Museumsstiftung zur Förderung der Staatlichen Bayerischen Museen. In Anerkennung dieser Gabe an die Öffentlichkeit haben sich das Hessische Landesmuseum in Darmstadt sowie das Neue Museum für Kunst und Design in Nürnberg bereit erklärt, die in ihren Sammlungen aufbewahrten Variationen aus derselben Werkgruppe auszuleihen.
Wolfgang Laib
Begegnungen mit Wolfgang Laib und seinen Werken zählen für mich immer zu den besonders intensiven Erlebnissen. Bei der Bloggerreise nach Herrenchiemsse hatten die Pinakotheken uns sogar die Möglichkeit geboten, der von Laib selbst durchgeführten Vollendung einer Arbeit beizuwohnen. Und so war es das leise Klopfen des Künstlers auf sein Pollensieb, über das er den gelben Blütenstaub auf den Boden verteilte, das wie ein stilles und konzentriertes Mantra durch den Raum zog. Laibs Werke treten dem Betrachter in großzügiger Bescheidenheit, füllender Leere und präsenter Immaterialität gegenüber – scheinbare Paradoxa, die den Einfluss fernöstlicher Philosophie erkennen lassen. Ausgangspunkt seiner Arbeiten ist die Natur. Die meditative Kraft der Werke aus Pollen, Milch, Bienenwachs, Marmor, Reis oder Siegellack liegt in der Einfachheit und Wiederholung. Der mit Sonnenenergie aufgeladene und in mehrjähriger Arbeit gesammelte Kiefernpollen in Herrenchiemsee erscheint als strahlende, beinahe schwebende Form auf dem Boden. Wie bei der Farbfeldmalerei von Marc Rothko leben die Arbeiten von der intensiven Beziehung zum Betrachter und in der unmittelbaren Reaktion auf den Raum. Das ist in der Königsklasse spannend gelöst. Das empfindliche Dasein und die imanente Vergänglichkeit machen dabei eine besondere Konzentration im Raum erfahrbar.
Anfahrt
Von Prien/Stock verkehren regelmäßig Schiffe zur Herreninsel. Fahrpläne der Chiemsee-Bahn sowie der Chiemsee-Schiffahrt gibt’s unter www.chiemsee-schifffahrt.de.
14.05. bis 22.05., 09.00 – 17.30
23.05. bis 27.09., 09.00 – 17.30
Eintritt
Ausstellung zusammen mit Schlossführung: 10 Euro (9 Euro ermäßigt)
Ausstellung: 5 Euro (3 Euro ermäßigt)
Fortsetzung mit Warhol, Flavin, Baselitz und Friedrich
Wer übrigens in der Gegend ist und die Begegnung mit Künstlern wie Andy Warhol, Dan Flavin oder Georg Baselitz vertiefen möchte, dem sei ein Abstecher nach Traunreut empfohlen: dort kann man auf 3.000 Quadratmetern im MAXIMUM durch die absolut sehenswerte Kunstsammlung von Heiner Friedrich wandern.
Oh, das klingt so schön. Wie seid ihr gesegnet, ihr lieben Münchener, mit so viel tollen Schlössern und Kunsthäusern um euch herum.
Wolfgang Laib zuzuschauen, das ist ja ein Highlight. Ich mag seine Arbeit sehr und kann mir gut vorstellen, dass die Herstellung noch einmal eine ganz eigene Performance ist.
Ganz herzliche Grüße in den Süden
Anke