Der Blogpost erscheint als Auftakt und Beitrag einer Blogparade zum Thema „Selfie“ im Kontext der Ausstellung „Ich bin hier. Von Rembrandt zum Selfie“ an der Kunsthalle Karlsruhe (31.10.15 – 31.01.16).
Das Selbstbildnis des Künstlers
Mit Dürer hat’s angefangen, mit Warhol ist’s populär geworden und mit Ai Weiwei ins Vielfache und Digitale geraten: das Selbstportrait.
Heute ist das Selbstbildnis, in seiner populären Erscheinungsform als #Selfie, die visuelle Geste unserer Zeit. Bereits 2013 wurde das „Selfie“ zum Wort des Jahres gewählt und gilt seither als popkulturelles Massenphänomen, das die Frage nach den Facetten der eigenen Identität und der Rolle in der eigenen oder einer beliebigen Community permanent neu verhandelt: Wer bin ich? Und wenn ja wie viele?
Die Geschichte des Portraits
In frühen Tagen zielten die Individualbildnisse auf das Bewahren der physischen Erscheinung und thematisierten soziale Stellungen oder dynastische Relationen. Dabei entsprachen die Portraits typologischen Konventionen und erscheinen noch heute normiert bzw. inszeniert. Kodifizierte Kleidungsmerkmale oder bedeutungsvolle Attribute standen in Abhängigkeit zu Kunstlandschaften und Stiltendenzen. Die Portraits reflektierten aber auch den Einfluss humanistischer Diskurse zur Rolle des Individuums oder formulierten poetische Visionen von Schönheit und Gelehrsamkeit. Mit der niederschwelligen Popularisierung des Fetisch “Kamera” und der Betonung der Wertigkeit des Augenblicks hat das Selbstportrait eine Verbreitung erfahren, die es zur zentralen Ikone des 21.Jahrhunderts macht. Über die Smartphones wachsen minimalisierte Hochleistungskameras an den Körper der Menschen heran und manipulieren zur permanenten Selbstbeschau, womöglich zu einem „Hyperindiviualismus„. In den Selbstportraits verdichten sich dann gerne zeitgenössische Themen oder Moden und geben den optischen Selbstentwurfs- bzw. Propagandamaschinen umso mehr Wucht, je geschickter die Inszenierung und je größer die bespielte Community. Eine digitale Hauptbühne dieser Digitalkultur ist die Plattform Instagram. Dort finden sich monatlich gut 152 Millionen aktive Nutzer, die bislang 16 Milliarden Fotos und Videos hochgeladen haben. In Deutschland wird diese Community von knapp 3,5 Millionen Usern getragen.
Künstlerselfies auf Instagram
Instagram gehört sicher noch lange nicht zu den Standardinstrumenten, mit denen Künstler das eine Leben und Werk digital flankieren oder erweitern. Musikszene und Popkultur haben es aber vorgemacht, – und die bildenden Künstler folgen und variieren. So lassen sich immer mehr Protagonisten der Kunstszene identifizieren (vgl. dazu die Beiträge von Jerry Saltz, im Schirn MAG, oder beim Artcollector), die das schienbar unerschöpfliche Kommunikationsgeflecht von Instagram mit eigenen Impressionen bereichern. Dabei fließen überwiegend echte Werkfotos oder kleine Inszenierungen auf die Plattform, während man #Selfies meist noch suchen muß. Bei meiner kleinen Betrachtung möchte ich das klassische, handverfertigte, Selfie von Portraitfotografien aus fremder Hand (wie z.B. vielfach bei Yoko Ono oder vereinzelt bei Anish Kapoor zu sehen) unterscheiden.
Ai Weiwei
Eine Spurensuche auf Instagram muß natürlich mit Ai Weiwei beginnen, der sich wie kaum ein anderer mit Leben und Werk massiv in die Plattform fallen läßt. Unter seinen derzeit 8073 Beiträgen lassen sich schnell zahlreiche echte #Selfies identifizieren. Diese zeigen den Künstler in unterschiedlichen Lebenssitutationen, alleine oder in Begleitung mit ausgewählten (zuweilen auch scheinbar beliebigen) Zeitgenossen. Die Bilder erscheinen beiläufig und singulär, aber auch gezielt und in Serien oder Kampagnen. Über die Fotos werden wir Teilhaber am Werk des Künstlers, seinen Botschaften, Provokationen und Stimmungen, seinen Lebensumständen und -situationen, seiner Familie. Über Instagram wissen wir wo er ist, mit wem er spricht und was er macht. Sein Fotostream auf Instagram erscheint wie ein Kontrollmechanismus in Eigenregie, der mit den Überwachern von Staatsschutz und dem Voyeurismus eines globalen Publikums spielt. Ein Künstler, der immer schon ein Bild publiziert, bevor es Paparazzi und Personenüberwachung liefern können. Ai Weiwei weiß das Medium einzusetzen, – es ist kalkulierte Kommunikation und natürlich auch Marketing in eigener Sache. Als er in Peking unter Hausarrest stand, wusste der Rest der Welt via Instagram, wie es ihm ging. Als er seinen Reisepass zurückbekam, hielt er zuerst das Dokument in die Kamera. Als er in seinem Atelier Wanzen fand, ging auch das zunächst zu Instagram. Spannend aber sicher auch, wie sich das künstlerische Werk Weiweis mit einer gewissen Lässigkeit ins Digitale fortsetzt und die Teilnahme des digitalen Publikums evoziert. Nicht zuletzt die Kampagne „Legs like guns“ lief im Jahr 2014 fast vollständig über Instagram und initiierte zehntausende #Selfies.
Selfies als Blitz- und Irrlichter
Anders etwa bei Tony Oursler, Olafur Eliasson, Laurie Simmons, Richard Prince oder Jeff Koons, die in ihren reich bebilderten Accounts auf Instagram überwiegend das eigene Werk dokumentieren und nur sehr vereinzelt mit #Selfies in Erscheinung treten. Das mag wohl auch daran liegen, dass bei Künstlern wie Eliasson eine Redaktion im Studio agiert und der Künstler selbst nur selten Hand anlegt. In einem solchen Zusammenhang gerät die Arbeit mit Instagram dann auch zur simplen Propaganda. Man ahnt den erfahrenen Redakteur, der mit (s)einer Community spielt und (zuweilen mit einer ganz bestimmten Botschaft) auf Reichweite zielt. Nicht ganz zu unrecht machte Brad Troemel 2013 deutlich, dass das, was früher das „Werk“ eines Künstlers ausmachte, die Serie von isolierten Projekten, vor so einem Hintergrund schon auch mal zu einem „constant broadcast of one’s artistic identity as a recognizable, unique brand“ geraten kann. Auf der anderen Seite machen die wenigen Selfies auch deutlich, worum es geht: den spielerischen Umgang mit der eigenen Lebenswirklichkeit, die (durchaus auch eitle) Manifestation von biographischen Situationen, gerne eine launische (meist gefällige) Momentaufnahme aus dem Alltag oder die Dokumentation bzw. Projektion von (wesentlichen und unwesentlichen) Begegnungen. Für den Betrachter erscheinen diese Photos zwischen den Werken der Künstler wie Blitz- und Irrlichter, die den Menschen hinter den Werken, hinter der Marke, erahnen oder rätselhaft erscheinen lassen. Und gerade das macht die #Selfies interessant.
Künstler als „Autoren“ einer Selfieumgebung
Aber auch in der Umkehr sind es zuweilen Künstler, die als Autoren einer vermeintlichen Selfieumgebung agieren und optische Strukturen und Landschaften schaffen, in denen sich das Publikum mit Leidenschaft inszeniert und portraitiert. Immer wieder ist es Yayoi Kusama, die mit besonderen Raumarrangements die Besucher zur Selbstfindung einlädt und deren Output sich dann besonders in den sozialen Medien beobachten lässt. Die Vielzahl der Selfies auf Instagram mit dem Hashtag #kusamayayoi macht deutlich, dass sich dieses Phänomen als Rezeptionsmerkmal verstetigt. Wie Wolfgang Ullrich kontstatiert, entziehen sich die Portraitisten aber vielfach in solchen Rahmungen der formatierenden Macht der Selfies und betten sich in einen stillen, zuweilen fast intimen, Dialog mit dem Selbst. Und immer wieder sind es Spiegelflächen in Werken von Jeff Koons oder Anish Kapoor, die das Publikum (oder auch die Künstler selbst) zum Selfie verführen. Für die fotografierenden Akteure bedeutet die subjektive Inszenierung in Kontext und Rahmen des Kunstwerks eine Anwendung und Ausweitung des eigenen Ichs in eine digitale Matrix. Die Zukunft wird zeigen, wieweit hier eine Entwicklung zu erwarten ist, die ganz bewußt an den Schnittstellen zwischen real und virtuell operiert und den Dialog des Einzelnen bzw. die Ausweitung ins Digitale intendiert. Das Motiv des Spiegels, als Rabbit Hole in eine andere virtuelle Gegenwart, hat lange Tradition in der Kunstgeschichte und ist aus ähnlichen Zusammenhängen wohl vertraut. Im Kontext digitaler #Selfies möchte man fast von einer Renaissance sprechen: schöne Beispiele finden sich zuhauf im letzten #museumselfie day 2015.
Stereotyp der reflexiven Moderne
Spannend auch der Blick auf die junge Kunst im Kontext der digitalen Selbstportraits. Da ist das lesenswerte Autorenblog für junge Kunst, Kultur und digitale Identität Selbstdarstellungssucht. Dort wurde zu Beginn des Jahres 2015 eine Reihe gestartet, die „Künstlerselfies“ sammelt und kommentiert. Im Kontext der hier publizierten Fotografien wird das Selfie als „kleines spielerisches ironisches Universum„, „Stereotyp der reflexiven Moderne“ oder auch als „Akt der Verzweiflung“ beschrieben. Mehr davon!
Lieber Christian Gries,
herzlichen Dank für den ersten Beitrag zu unserer #Blogparade #selfierade! Er eröffnet sehr umfangreich und mit vielen spannenden Verweisen das Thema der Künstler-Selfies.
Interessant, wie sich Künstler und Künstlerinnen am Selfie-Phänomen beteiligen – sie bereichern die stetig wachsende Bildersammlung im Netz durch Beiträge, die vom schnellen Schnappschuss bis zur sorgfältig inszenierten Selbstdarstellung reichen. In unserer Ausstellung „Ich bin hier. Von Rembrandt zum Selfie“ mit 140 Werken aus sechs Jahrhunderten zeigen wir auch Selfies von Ai Weiwei, der sehr experimentell mit dem Medium umgeht, ihm aber zugleich auch eine politische Bedeutung zuweist.
Wir freuen uns hier über viele Kommentare zum Aspekt des Künstler-Selfies und über jeden weiteren Blogbeitrag rund um das facettenreiche Thema Selfies!
Viele Grüße vom Kunsthallenteam!
Lieber Christian, jetzt erst habe ich die Mention gesehen! Freuen uns Teil dieses ausführlichen Artikels zu sein! LG Veronika