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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

Im Zeitalter des Portraits

Im Zeitalter des Portraits

Das Portrait ist so aktuell wie nie zuvor. Dank großer Netzplattformen wie Facecook oder Twitter, zahlloser Businessportale und Partnerbörsen leben wir in einer Zeit der permanenten (nicht nur visuellen) Selbstreflexion.

Facebook-Gründer Marc Zuckerberg auf seinem Profilfoto auf Facebook. Quelle: http://www.facebook.com/pages/Marc-Zuckerberg/157927950912898?ref=ts
Facebook-Gründer Marc Zuckerberg auf seinem Profilfoto auf Facebook. Quelle: http://www.facebook.com

Wenn früher nur Pass- oder Bewerbungsphoto eine gelegentliche Selbstbetrachtung einforderten, so machen heute die digitalen Medien und die großen Social-Media-Plattformen das Selbstportrait zur zentralen Ikone im digitalen Raum. Man muß es nicht gleich so intensiv betreiben, wie der New Yorker Fotograf Noah Kalina, der seit Jahren täglich das eigene Konterfei im Bild dokumentiert. Aber wer einmal eine Weile online den ständigen Wechsel der Profilphotos seiner Friends, Follower oder Fans verfolgte, stellt nicht nur die offensichtliche gigantische Zunahme einer Weltportraitmenge im Kontext der digitalen Selbstentwurfsmaschinen fest, sondern auch die offensichtliche Leidenschaft und Intensität, mit der das betrieben wird.
Profilfoto von Madonna auf Ihrem Facebook.-Account; Quelle: http://www.facebook.com
Profilfoto von Madonna auf Ihrem Facebook.-Account; Quelle: http://www.facebook.com

Da wird gewechselt, gefärbt und gezoomt, ge-photoshopt oder gefaked, gebranded, gelabelt und geklaut, was das Zeug hält.  Jeder Tag scheint seine neue, eigene Inszenierung zu fordern, die sich im schnellen Konsum der Masse permanent verbraucht. Initiativen wie das „One Million People„-Projekt versuchen diese Entwicklung zu dokumentieren und der digitalen Generation ein Gesicht (?) zu geben, – während der Prozess aber auch von Künstlern wie dem US-Amerikaner Matt Held verlangsamt oder umgekehrt wird und aus dem Facebook-Foto wieder Kunst entsteht.
Womöglich markiert dieser Portraitboom als Kennzeichen unserer Zeit auch einen der Gründe, warum zwei große deutsche Institutionen das Thema „Portraitkunst“ so umfassend und spektakulär beleuchten:
Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst in Berlin
25. August 2011 – 20. November 2011, Bode-Museum / Berlin

Unter dem Titel „Gesichter der Renaissance“ veranstalten die Gemäldegalerie im Bode-Museum und das Metropolitan Museum of Art eine Publikumsausstellung zur frühen Entwicklung des italienischen Porträts.
Leonardo da Vinci Dame mit dem Hermelin (Portrait der Cecilia Gallerani), 1489/90 Krakau, Besitz der Prinz Czartoryski Stiftung, im Nationalmuseum Krakau © bpk / Scala, Bildquelle: http://www.smb.museum/smb/gesichter/home.php
Leonardo da Vinci Dame mit dem Hermelin (Portrait der Cecilia Gallerani), 1489/90 Krakau, Besitz der Prinz Czartoryski Stiftung, im Nationalmuseum Krakau © bpk / Scala, Bildquelle: http://www.smb.museum/smb/gesichter/home.php

Die italienische Porträtkunst beginnt im Schatten antiker Vorbilder, ist aber auch geprägt von bedeutenden Neuerungen und dem Naturalismus der großen niederländischen Maler. Die Individualbildnisse zielen auf das Bewahren der physischen Erscheinung ab, zugleich thematisieren sie soziale Stellungen und Familienstand, mithin also dynastische und verwandtschaftliche Relationen. Dabei entsprechen die Portraits typologischen Konventionen, erscheinen zuweilen normiert, inszenieren kodifizierte Kleidungsmerkmale oder bedeutungsvolle Attribute in Abhängigkeit zu Kunstlandschaften und Stiltendenzen. Sie reflektieren aber auch den Einfluss humanistischer Diskurse zur Rolle des Individuums oder formulieren poetische Visionen von Schönheit und Gelehrsamkeit. Vor allem bei den Portraits der Damen geht es dabei gerne um das Spannungsfeld zwischen Idealisierung und Ähnlichkeit. Hanno Rauterberg fast in der ZEIT in schöne Worte: „(…) Es ist diese Intensität, die auch der Besucher in Berlin zu spüren bekommt. Er wird erfasst vom irritierenden Wechselspiel aus Nähe und Entrücktheit. Sehend überwindet er die üblichen Schamgrenzen, rückt noch den fremdesten Gestalten so dicht auf den Leib, dass er sie fast zu riechen meint. Kein Wimpernhärchen, keine Runzel entgeht ihm, und dennoch bleiben die Menschen auf eigentümliche Weise unfassbar (…)“.
Die Berliner Ausstellung befasst sich mit der Geschichte des Porträts in seiner Erscheinungsform als Gemälde, Skulptur, Medaille oder Zeichnung und betrachtet den norditalienischen  Raum zwischen Florenz und Venedig. Die Namen der in der Werkschau vertretenen Künstler lesen sich wie das Who is Who der bedeutendesten Maler der italienischen Kunstgeschichte: Donatello, Masaccio, Verrocchio, Botticelli, Pisanello, Mantegna, Laurana, da Vinci und andere. Bei vielen Werken darf bezweifelt werden, ob sie jemals wieder in dieser Dichte und Qualität miteinander gezeigt werden können.
Im digitalen Raum wurde für die Ausstellung eine eigene Homepage eingericht, eine kostenlose APP programmiert, sowie ein Fotoalbum auf dem Facebook-Account des Museums eingerichtet. Spannend auch sicher die zahlreichen, zur Ausstellung publizierten Videos auf YouTube, die die alten Portraits mit ganz aktuellen Fragestellungen, Themenstellungen und Kommentaren beleuchten.

Übrigens scheint man in Berlin das Phänomen der Profilseiten im digitalen Raum recht genau zu kennen. Wenigstens hat das aus dem Onlinekontext vertraute Schema der Selbstbeschreibung zumindest als Grundlage der Website bei der Dokumentation der einzelnen Portraits gedient. Die portraitierten Personen der Renaissance werden über Kategorien erfasst und beschrieben, die jeder Partnerbörse zur Ehre gereichen. Sandro Botticellis „Dame am Fenster“ wird da dann schon mal ein „pflichtbewusster, gebildeter, kunstsinniger“ Charakter apostrophiert und ihre Lebensumstände wie folgt beschrieben: „Sie steht einem großen und gut organisierten Haushalt vor und kümmert sich um die Erziehung der Kinder. In ihrer knapp bemessenen Freizeit widmet sie sich Kunst und Literatur“.
Die Überführung der vormals exklusiven Standesportraits in den Selbstfindungskontext der Gegenwart erscheint da zuweilen etwas problematisch. Die Hintergründe, Fragestellungen und Anforderungen eines historischen Portraits unterscheiden sich doch gravierend von den Konturen einer neuzeitlichen Massenmotorik. Als Ansatz ist dieser Vermittlungsversuch, der explicit und ganz im Sinne einer neuen Kommunikation, den „Dialog“ sucht, aber sicher unterhaltsam und öffnet einmal eine erfrischend neue Perpektive auf die Gemälde: „Al cor gentil rempaira sempre amore.“

Deutsche Portraitmalerei in München
16. September 2011 – 15. Januar 2012, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung / München
Am 16. September öffnet die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München die Ausstellung „Dürer – Cranach – Holbein. Die Entdeckung des Menschen: Das deutsche Portrait um 1500„.
Albrecht Dürer Portrait der Elsbeth Tucher, 1499 Lindenholz, 29,1 x 23,3 cm Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister © Blauel – ARTOTHEK, Bildquelle: http://www.hypo-kunsthalle.de/newweb/dch/bild01.jpg
Albrecht Dürer Portrait der Elsbeth Tucher, 1499 Lindenholz, 29,1 x 23,3 cm Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister © Blauel – ARTOTHEK, Bildquelle: http://www.hypo-kunsthalle.de

In Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Museum in Wien präsentiert die Kunsthalle eine Ausstellung zum deutschen Porträt um 1500. Rund 170 hochkarätige Kunstwerke – darunter Gemälde Albrecht Dürers (1471-1528), Lucas Cranachs d. Ä. (1472-1553) und Hans Holbeins d. J. (1497/98-1543) sowie Meisterwerke der Bildhauerei, Numismatik, Grafik und Zeichenkunst – zeigen, wie das Individuum um 1500 ins Zentrum des künstlerischen Interesses rückte und Künstler zu Entdeckern und Erfindern des Menschen avancierten.
Die Ausstellung widmet sich dem Blick des Künstlers auf den Menschen an einem Epochenwandel, – am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit im deutschen Sprachraum. Bislang stand die frühe deutsche Porträtkunst im Schatten altniederländischer oder, wie jetzt in Berlin zu besichtigen, italienischer Bildnisse und wurde noch nicht in einer eigens ihr gewidmeten großen Publikumsausstellung thematisiert. Zwar dürfen sich die Niederländer rühmen, mit ihrem Naturalismus die Unverwechselbarkeit in der Abbildung des Menschen erst ermöglicht zu haben, und die Meister Italiens, dass sie durch die Spannung zwischen Idealisierung und Ähnlichkeit den Schönheitsbegriff einer ganzen Epoche, der Renaissance, prägten. Doch gelangte gerade auch die deutsche Bildnismalerei vor dem Hintergrund neue Geschmackskonjunkturen, gravierende Veränderungen des ästhetischen Bewusstseins und des Bedarfs – an der Spitze ihre größten Exponenten: Dürer, Cranach d. Ä. und Holbein d. J. – zu hoch bedeutenden und sehr eigenständigen künstlerischen Leistungen, deren besondere Stärke in der authentischen Erfassung einer Person, gepaart mit der subtilen psychologischen Durchdringung der Dargestellten liegt.
Lucas Cranach d. Ä. (?) Bildnis eines bartlosen Mannes, um 1500, Fichtenholz, 46 x 33 cm Hessische Hausstiftung, Kronberg, Bildquelle: http://www.hypo-kunsthalle.de/
Lucas Cranach d. Ä. (?) Bildnis eines bartlosen Mannes, um 1500, Fichtenholz, 46 x 33 cm Hessische Hausstiftung, Kronberg, Bildquelle: http://www.hypo-kunsthalle.de/

Die Schau war bereits im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen und wurde von Karl Schütz, dem ehemaligen Direktor der Gemäldegalerie am Kunsthistorischen Museum Wien, Christof Metzger (KHM), sowie von Christiane Lange und Roger Diederen von der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München kuratiert.
Zur Ausstellung erscheint ein umfassender Katalog beim Hirmer Verlag in München, der mit grundlegenden Essays ausgewiesener Experten sowie einzelnen Objektbeschreibungen die präsentierten Werke in ihrem künstlerischen und historischen Kontext eingehend würdigt.
Ob es in München gelingt, der in Berlin formierten italienischen Phalanx eine adäquate Antwort zu geben, ist gespannt abzuwarten. Medienpräsenz hatten Dürer und Cranach jedenfalls genug: Elsbeth Tucher und der bartlose Mann bei Cranach lagen mindestens jedem Deutschen lange am Herzen, – im Geldbeutel.
Laura Piantoni, Sabine Irrgang: Social Network Photography, 2011
Laura Piantoni, Sabine Irrgang: Social Network Photography, 2011

Update 02.09.2011 > Das Buch zum Thema:
Laura Piantoni, Sabine Irrgang
Social Network Photography
Gofresh Verlag 2011
Facebook: http://www.facebook.com/socialnetworkphotography
Update 20.10.2011 > Zur Berliner Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ gibt es nun auch eine App. Download und weitere Informationen hier
 
 
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2 comments

  1. Zum Thema „Selbstportrait“ bzw. #selfie habe ich Deutschlandradio ein Radiointerview gegeben: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/12/12/drk_20131212_2305_d93ce3ae.mp3

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