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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

Wanted: Dead or Alive – Digital Strategy

Wanted: Dead or Alive – Digital Strategy

Digital strategy is dead“ schreibt der in Dalles beheimatete Museumsberater Rob Stein in einem äusserst lesenswerten Beitrag auf der Website der Alliance Labs. Er resümiert damit die gutbesuchte Session “Strategy 3.0: What is Digital Strategy Now” auf der diesjährigen „Museums and the Web Conference“ (19.-22.04.17) in Cleveland, deren diskursiven Verlauf man schon damals live via Twitter sehr gut verfolgen konnte. Der Schlachtruf „Digital strategy is dead“ halt nun auch in Deutschland nach – und ich möchte doch kurz anmerken, dass man auch nur beerdigen kann, was man vorher erschaffen (oder wenigstens verstanden) hat.
Die Session von Rob (ich war leider nicht vor Ort) hatte wohl mehrere Themen im Fokus, die einige zentrale Fragen im Kontext einer digitalen Strategie erörterten:

  1. Digital strategy is dead. There is no digital strategy, only museum strategy.
  2. Digital strategy is a useful subversive technique inside your organization.

Diese Statements sind durchaus auch für den europäischen oder spezifisch deutschen Kontext relevant und ich möchte sie in diesem Beitrag kurz diskutieren.

Wanted: Dead or Alive!
Mit seiner schmissigen These „Digital strategy is dead“ bedeutete Stein eine durchaus realistische Gefahr: die Abkapselung einer digitalen Strategie von der Gesamtstrategie eines Museums durch eine isolierte Positionierung: „by defining a digital strategy as a document that is separate from your museum’s core strategic plan, you risk a misalignment of those two plans“. In jedem Fall muss eine digitale Strategie an die „analoge“ Realität eines Hauses gekoppelt sein und im konsequenten Blick auf dessen Perspektiven, Strukturen, Prozesse, Ressourcen, Themen und Dynamiken entwickelt werden. Eine digitale Strategie ist ein Change Prozess und kann nur wirklich etwas bewirken, wenn sie auch ganzheitlich im realen Betrieb gefahren wird. Die Gefahr der Abkapselung ist, so verstehe ich Rob und seine Mitstreiter, vor dem Hintergrund zu sehen, daß man eine digitale Strategie auf isolierten Dokumenten, in spezifizierten Umgebungen und vermeintlich „nur“ technischen Zusammenhängen formuliert bzw. interpretiert. Das wäre aber genauso falsch, wie eine „Digitalisierungsstrategie“ noch keine „digitale Strategie“ ist (freilich ein wesentlicher Teil sein kann) und „digital“ auch nicht bedeutet, dass man sich nur mit digitalen Instrumenten wie Facebook und Website auseinandersetzt.
Nun kennen wir diverse publizierte Strategien von Museen, die in allen Facetten oft auch online zugänglich sind (Beispiel: „More than a museum“ des Warhol Museum). Ich halte diese Dokumente für nützlich, weil sie einen Startpunkt markieren, als Selbstverpflichtung greifen können und intern wie extern Orientierung bieten. Wesentlich ist aber auch die Übernahme, Anwendung und Prüfung solcher Statements im Programm und operativen Geschäft eines Hauses. Das, was ich in einem früheren Beitrag als „mindset“ beschrieben und mit einer „grammar of action“ verbunden habe, bedeutet keinesfalls nur die Auseinandersetzung mit Themen der digitalen Infrastruktur vor Ort oder die Fokussierung auf ein noch so schönes Storytelling-Konzept zu einer Ausstellung. Die Sache ist deutlich komplexer. Und da unterscheidet sich die deutsche Realität (die man meines Erachtens in diesem Kontext immer etwas isoliert betrachten muss, weil sie anders und im internationalen Vergleich retardiert funktioniert) nicht von der anglo-amerikanischen: „The important point is the understanding of the kinds of outcomes your museum and visitors need from digital – not the other way around.“ Es wäre aber grundfalsch, den im Diskussions- und Entwicklungsfeld der digitalen Strategien derzeit mühsam wachsenden Impuls zum Verständnis des Digitalen schon jetzt zu Grabe zu tragen. Man würde ein Aufgabenfeld beerdigen, bevor es richtig verstanden wurde (und vielfach noch nicht einmal im Ansatz „geboren“ wurde). An den digitalen Strategien wird international seit mindestens zehn Jahren gebastelt, – im deutschen Sprachraum formuliert sich ein erstes Verstehen und Umsetzen erst seit wenigen Jahren. Wir lernen gerade das Verstehen und Denken, während das Ausland doch längst schon auf Basis etablierter Ressourcen und Strukturen, evaluierter Methoden und Instrumente wie Metrics oder Big Data spannende Prozesse generiert (jüngst etwa die App-Entwicklung im V&A oder das British Museum) und zu intelligenten Lösungen kommt.

Eine digitale Strategie als (subversives) Manifest?
In Cleveland diskutierte man aber auch die Frage, ob eine digitale Strategie sinnvollerweise in einem eigenen Dokument, einem Manifest ähnlich, formuliert werden sollte. Im deutschen Umfeld gibt es wenige direkte Statements wie beim Städel („Mission Statement„), – meist werden „digitale Angebote“ einfach online aggregiert und es entsteht ein, zuweilen diffuses, Bild des digitalen Wollens und Tuns (Beispiele: Historisches Museum Frankfurt und Archäologisches Museum Hamburg (hier sind die Perspektiven des „Wollens“ aber sehr klar), Kunsthalle Mannheim, Kunstsammlung NRW). Ich habe zuweilen den Eindruck: der Blick auf realisierte Instrumente verstellt manchmal den Blick auf eine scharfe Kontur und nachhaltige Perspektive. Wesentlich dabei ist auch die Position, aus der eine Strategie entwickelt und formuliert wird. Wir finden dazu verschiedene Beispiele. Ich kann die Strategie aus dem Marketing heraus entwickeln, aus der Vermittlung oder der Online-Sammlung als Ideal des „erweiterten Museums“. Alles legitime Ansätze, die zu spannenden Lösungen führen können.
Kann nun eine deutlich formulierte Position zur Klärung beitragen oder torpediert ein isoliertes Konzept die notwendige Wahrnehmung der Entwicklung als einen ganzheitlichen Change-Prozess? Auch hier teile ich die Wahrnehmung der Gruppe um Rob Stein: „The group felt that approaches to digital and the need for a strategy was very dependent on the particular institution’s maturity in thinking about strategy for the whole organization. Organizations without a lot of experience in digital might benefit from a separate digital strategy that paints a picture of how those efforts might best move forward.“ Ich bleibe dabei: die Ausformulierung eines Strategiepapiers trägt zur Klärung von Grundlagen, Themen, Begriffen, Taktiken etc. bei. Im Entwurf einer Strategie klärt sich oftmals der Blick auf den digitalen Besucher und das Verständnis für dessen Verhalten, Wünsche und Nöte. In meinen Workshops stelle ich immer wieder fest, daß Museen eine digitale Strategie (wie auch z.B. die Struktur einer Website) als Rollout des Organigramms eines Hauses und Themenschwerpunkte ausschließlich in der Selbstwahrnehmung entwickeln. Das sollten wir ändern. Und da trifft dann auch die ebenfalls in Cleveland diskutierte These von Max Evjen (Exhibitions Technology Specialist am Michigan State University Museum) zu: „Digital work is still an afterthought. Digital efforts are still seen as an object, not as a means, or as a tool that we use to achieve goals.“

Literatur
Hilfreich zum Thema auch die von Rob zitierte Literatur zum Thema, die ich hier gerne einfach wiederhole:

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3 comments

  1. Hallo Christian Gries,
    vielen Dank für den Blick in die USA. Nachdem wir schon mehrfach gebeten wurden, unsere Strategie in Artikeln oder Vorträgen vor Kollegen zu erläutern, haben wir sie inzwischen auch unter „Konzept“ auf der Website öffentlich gemacht: http://www.burg-posterstein.de/start/startseite-museum/konzept/. Für uns ist es wichtig, dass die digitale und die analoge Museumsarbeit gut zusammenspielen. Marketing und Vermittlung spielen dabei eng zusammen und sollten immer zusammen betrachtet werden. Gleichzeitig soll unsere Strategie nicht starr bleiben, sondern muss ständig überprüft und angepasst werden. Der Blick auf die Strategien anderer Häuser ist da sicher sehr hilfreich, weil man von einander und von den jeweiligen Erfahrungen gut lernen kann.
    Viele Grüße,
    Marlene Hofmann/ Museum Burg Posterstein

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