Gegen 21.50 war es vorbei, – mit einem lauten Krach wurde die Bombe gesprengt und ein gespenstisches Szenario in München-Schwabing endlich beendet. Als unmittelbar Betroffener, weil sowohl mit Büro als auch mit Wohnung nur wenige hundert Meter entfernt, habe ich recht seltsame Eindrücke aus den vergangenen 48 Stunden mitgenommen.
Sprengung der Fliegerbombe / Schwabing, München / 28.8.2012 from Simon Aschenbrenner on Vimeo.
Da war die plötzliche Stille in einem teils evakuierten oder abgeriegelten Stadtviertel. Die Nacht, die sich schwer über das Stadtviertel legte und die auf irgendetwas zu warten schien. Unterbrochen nur von den langsam durch die leeren Straßen rollenden Fahrzeugen der Polizei oder Feuerwehr mit ihren lauten Anweisungen an die Bevölkerung. Eine groteske Situation und eigentlich unerträgliche Bilder.
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Das „Warten“ – Live-Berichterstattung zur Lage
Wie die meisten (nicht evakuierten) Anwohner habe ich über die gesamte Zeit auf Berichte zum aktuellen Stand der Situaton gewartet. Nicht aus Sensationslust, sondern um eine Orientierung zu haben, was gerade passiert und womit man zu rechnen hat. Ab 16 Uhr wurden wir aufgefordert in den Wohnungen zu bleiben, – und warteten. Nun konnte man auf die kurzen (aber bedrohlich wirkenden) Durchsagen der passierenden Feuerwehr-, THW- oder Polizeifahrzeuge warten, – so alle 30 Minuten kam einer vorbei (und riet dann u.a. zum Ausschalten der Hörgeräte). Wer auf das Radio setzte, brauchte deutlich mehr Geduld, in jedem Fall den richtigen Sender und wartete dann auf die Berichterstattung zum Geschehen zwischen den Musikeinspielungen und der Werbung der Möbelhäuser (wie passend). Auch der Fernseher war zur Orientierung eher ungeeignet, da kaum Berichte gesendet wurden und das Warten auf einen „Sonderbericht“ an den Nerven zerrte. Hilfreich waren hingegen die Online-Liveticker von Webortalen wie der Süddeutschen und Abendzeitung, die auch noch lange über den Zeitpunkt der Explosion hinweg noch fortgesetzt wurden. Kurz vor der Sprengung verabschiedete sich dann aber die Website der SZ, – vermutlich von den massiven Zugriffszahlen einfach überfordert (das System eines notwendigen Seitenrefreshs für ein Newsupdate sollte man noch einmal überdenken).
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Informationen und Emotionen via Twitter
Eindeutiger Sieger in Sachen Liveberichterstattung und Information war aber Twitter. Die mit den Hashtags #bombe und #schwabing markierten Tweets brachten ein aktuelles Bild der Lage und kumulierten alle gewünschten Informationen und Emotionen. Hilfreicher als die o.g. Liveberichte der Zeitungen waren deren Tweets (etwa via @SZ_Muenchen oder @SZ), sowie die zahllosen Meldungen twitternder Beobachter, Betroffener oder „wilder“ Kommentatoren. Nicht nur, dass man in der Stille der eigenen Wohnung über Twitter ebenfalls schnell Betroffene fand (und sich mit diesen austauschen konnte), – kein Informationsmedium war so schnell und aktuell am Geschehen, wie der Nachrichtenstream des Mikrobloggingdienstes. Im digitalen Raum verdichtete sich Dramaturgie des Geschehens im Sekundentakt zu einer, beinahe fesselnden, Geschichte. Sicher, da war auch eine Menge Häme und Spaß in den Posts, vielfach aber auch echte Information und Austausch. Lagebesprechungen der Polizei und Feuerwehr oder offizielle Statements wurde in einem rasenden Tempo kommuniziert. Mehr und schneller war ein Überblick kaum zu erlangen. Und defacto habe ich nun einen Eindruck, was Twitter für den arabischen Frühling bedeutete.
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Offizielle Quellen in Web 2.0
An keiner Stelle konnten die offiziellen Kommunikationskanäle auch nur ansatzweise diese Qualität und Dichte erreichen. Und genau das hat mir im modernen Katastrophenmanagement gefehlt: eine zuverlässige, schnelle und präzise Informationsquelle. Warum nutzen Polizei, THW oder Feuerwehr nicht auch die sozialen Kanäle professionell für Ihre Informationen? Warum gibt es keinen zuverlässigen Account von Stadt oder Behörden, der genau in solchen Fällen eingesetzt werden kann (oder warum kenne ich ihn einfach nicht)? Zumindest die Münchner Feuerwehr ist bereits auf Facebook aktiv und wird hier auch fleissig kommentiert und gelobt. Wer jetzt auf die Seite guckt, findet dort hilfreiche Informationen, Adressen und Telefonnummern.
Die „Crowd“ mag womöglich manches überzeichnen oder unterschiedlich bzw. sogar falsch bewerten oder darstellen. Mit ein wenig Medienkompetenz kann man aber recht schnell die zuverlässigen Datenquellen identifzieren und sich ggf. sogar direkt mit ihnen absprechen. Web 2.0 ist dialogisch und gerade in solchen Fällen scheint mir der gemeinsame Austausch besonders hilfreich. Während beispielsweise die via Lautsprecher vorgetragenen Warnhinweise von Feuerwehr und Polizei auf der Straße nur auf Deutsch erfolgten, rauschten auf Twitter längst mehrsprachige Tweets durch die Timeline, die auf Englisch und Spanisch über die Situation informierten. Zumindest unter meinem Fenster waren kurz vor der Sprengung noch zahlreiche andersprachige Mitmenschen unterwegs, die vermutlich nicht ausreichend informiert wurden. Und bitte: ich weiß, daß Twitter und Facebook noch kein Massenmedium sind (zumindest nicht in Deutschland) über die man alle Menschen erreichen kann. Aber der Fall der Bombe in München macht für mich deutlich: Über die sozialen Netzwerke ist man dichter am Menschen und schneller am Geschehen. Wünschenswert wäre nun, wenn auch die Institutionen nachziehen und diese Kommunikation weiter professionalisieren. Zumindest die klassischen Medien haben die Konsequenzen bereits verstanden und suchen nun den Schulterschluß zu Web 2.0, zu den Bloggern, Filmern und Twitterern, zu den Menschen, und nutzen diese Ressourcen für die eigenen Berichte:
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Die Metropolitan Police in London ist schon oft als gutes Beispiel gennant wurden für ihre Twitter Nutzung, z.B. um Fotos von Vermissten zu verbreiten. Oder nach den London Riots um Leute die geplündert haben usw zu identifizieren.
Hallo Christian,
ich stimme deinem Kommentar prinzipiell voll zu. Auch ich wohne in der „Zone“, wenn auch in der erweiterten, und habe am Dienstag nachmittag vorsorglich die Wohnung verlassen. Bis zur Sprengung habe ich dann gebannt den Twitter stream verfolgt, um aktuelle Meldungen zu bekommen. Auch Montag Nacht, als die ersten Lautsprecherwagen bei uns unterwegs waren, konnte ich erst ueber Twitter verstehen, was ueberhaupt los war. Auf den Webseiten der Polizei und Feuerwehr waren keine aktuellen Information zu finden.
Aber: Man koennte auch einen Kommentar mit dem Titel „Was Twitterer von und Social Media von traditionellen Medien lernen koennen“. Wenn man sich die unzaehligen Retweets, die teils witzigen, teils dummen Witze und die Fehlinformationen anschaut, so schaetze ich, dass nur etwa 5% der Tweets wirklichen Informationsgehalt hatten. Hier hilft der redaktionelle Filter, den professionelle Journalisten aufbauen, weiter, indem Falschmeldung aussortiert und Informationen journalistisch aufbereitet werden.
Also: Twitter-Meldungen von Behörden und traditionellen Medien wären in so einem Fall vielleicht „the best of both worlds“. Hier besteht noch großer Lernbedarf.
(trifft natürlich nicht auf Situationen wie arabischen Fruehling zu, wo diese Institutionen teil des Problems sind)
Hallo Martin, freut mich, dass der Post eine so lebendige Diskussion erweckt (auch auf Twitter). Vielen Dank einmal allen Lesern und Kommentatoren. Auch ich halte die von Dir genannten 5% als Gesamtmenge „echter und wichtiger Informationen“ womöglich für einen korrekten Wert. Ein guter (kommunizierter) Hashtag wäre vielleicht eine Möglichkeit, diese Informationen schon vorab zu filtern und vom Rest der Tweets zu trennen (eine mögliche Aufgabe an die Institutionen?). Aber wie geschrieben war auch ein Großteil der verbliebenen 95% der Tweets durchaus interessant bzw. hatte im Gesamtkontext der Katastrophe (kann man das so nennen?) womöglich weitere Auswirkungen auf die Mitleser. Den getwitterten Dialog mit einem anderen Betroffenen fand ich beruhigend (auch wenn da keine „überlebensrelevanten Fakten“ geteilt wurden) und die Lektüre des Gesamtspektrums der Tweets sogar teilweise unterhaltsam. Wäre wohl mal interessant einen Psychologen auf solche Nachrichtensammlungen sehen zu lassen und ihm zuzuhören, was er über die aus der Timeline gezogene Krisenpsychologie zu sagen hat (Einfluß auf den Einzelnen bzw. die Gesamtheit ). Ich denke mal, dass die Bombe also auch im digitalen Raum eine massive Wirkung hatte, – nur dass diese Vielen verborgen bleibt.
Gute Idee mit dem Psychologen. Selbigem koennten man noch einen Soziologen zur Seite stellen, um dann das Massenverhalten von Menschen zu Krisenzeiten zu untersuchen. Wir hatten selbst die Diskussion, inwiefern es sich bei den Twitterern wohl nur um virtuelle Schaulustige handelt. Und obwohl selbst direkt betroffen, machte sich auch bei uns eine gewissen Sensationsgier breit, wie ich zugeben muss.
Zitat: #Bombe #Schwabing #München – Die Explosion am Nachthimmel hat kurzzeitig Fenster in die Vergangenheit geöffnet http://t.co/c1KVuG4D #Krieg
Da kann nur lachen. Kriegt ihr im Netz gar nicht mit, was real in der Welt passiert? #Kriege #Bomben
Vielleicht mal das Fenster in die Gegenwart öffnen!
Sorry, aber auch das Netz ist reales Leben. Und eine engeres Zusammenwirken von dem, was Du wohl „real“ nennst, mit dem, was ich als „digital“ verstehe, habe ich bislang kaum erlebt.