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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

Coding da Vinci. Oder eine Fahrkarte in die Zukunft.

Coding da Vinci. Oder eine Fahrkarte in die Zukunft.

Digitalisierung von Kulturgut in Deutschland – eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe.
Ein vom DARIAH-DE Stakeholdergremium „Wissenschaftliche Sammlungen“ erarbeitetes Memorandum zur „Digitalisierung von Kulturgut“ in Deutschland machte es jüngst deutlich: „Trotz beträchtlicher Fortschritte liegt nach wie vor nur ein Bruchteil des in Deutschland verwahrten Kulturgutes in digitaler Form vor, so dass ein offener, medienadäquater und nachnutzbarer Zugang für große Teile nicht gegeben ist. Die Digitalisierung als ein Prozess der Transformation und damit Sicherung des Kulturgutes bleibt daher auf absehbare Zeit eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe all jener Einrichtungen, die kulturelles Erbe bewahren und bearbeiten: Bibliotheken, Archive, Museen, Forschungsinstitute, aber auch wissenschaftliche Sammlungen an Universitäten und Fachhochschulen. Allerdings reichen die bisherigen Bemühungen, so beispielsweise durch das Digitalisierungsprogramm der DFG und vereinzelte Aktivitäten auf Ebene der Bundesländer, nicht aus. Sie müssen nicht nur fortgesetzt, sondern intensiviert, ausgebaut und besser vernetzt werden.“ Das Gremium kommt in der Studie zum Schluss, dass die Digitalisierungsmaßnahmen mit den sich laufend weiterentwickelnden digitalen Methoden und Techniken der Wissenschaft, aber auch mit den Erwartungen der Bevölkerung an den Zugang zu ihren Kulturgütern nicht Schritt halten und beträchtliche Anstrengungen notwendig sind, um die Situation zu verbessern. Ein wesentliches Instrument, das Nachnutzungshorizonte im Kontext von OpenData sehr schön deutlich macht, ist die Initiative Coding da Vinci:

Coding da Vinci
Coding da Vinci ist der erste und älteste deutsche Hackathon für offene Kulturdaten. Seit 2014 vernetzt Coding da Vinci technikaffine und kulturbegeisterte Communities mit deutschen Kulturinstitutionen, um das kreative Potential in unserem digitalen Kulturerbe weiter zu entfalten. Während ein klassischer Hackathon den Teilnehmern nur wenig Zeit gibt, Softwareanwendungen zu entwickeln – in der Regel ein Wochenende – erstreckt sich Coding da Vinci über eine Zeitspanne von sechs bis zehn Wochen. Dieser erweiterte Zeitrahmen schafft den dringend benötigten Raum, in dem sich die oft getrennten Welten kreativer Technologieentwicklung und institutioneller Kulturbewahrung treffen können, um voneinander zu lernen und miteinander aktiv zu werden. Der mindestens sechswöchige Sprint wird eingeleitet durch ein zweitägiges Kick-Off. Auf diesem Event haben die Institutionen Zeit, den Teilnehmern ihre Daten zu präsentieren und mit ihnen gemeinsam Ideen zu entwickeln und Teams zu bilden. In den darauffolgenden Wochen erstellen die Teams aus diesen Ideen funktionierende Prototypen, die in der Abschlussveranstaltung mit Preisverleihung der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Coding da Vinci Süd
Der erste Coding da Vinci im Süden Deutschlands wird ab dem 06.04.19 in München und Nürnberg stattfinden. Es ist die erste Initiative, die in einem großen Rahmen versucht auch in Bayern und Baden-Württemberg Impulse für openGLAM (lesenswert im Kontext: die GLAM-Strategie der Museen in Oxford) zu setzen. Der CdV Süd wird von einem großartigen Team aus Bayerische Akademie der Wissenschaften, Bayerisches Filmzentrumdh.Muc Netzwerk Digital Humanities München, Deutsches Museum, Games BavariaLandesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern, Münchner Stadtbibliothek und ZD.B | Zentrum Digitalisierung.Bayern organisiert.
Für Datengeber und Entwickler werden bereits jetzt Informationsveranstaltungen angeboten, bei denen man sich über alle relevanten Themen informieren kann:

Diese Daten sollten man sich auf jeden Fall notieren und im Kalender reservieren:

  • Kick-Off Coding da Vinci Süd: 6./7. April 2019 in München (Münchner Stadtbibliothek Gasteig)
  • Preisverleihung: 18. Mai 2019 in Nürnberg (KunstKulturQuartier)
Das Fahrkartentool im Deutschen Technikmuseum: https://fahrkartentool.sdtb.de/

Ein großartiges Umsetzungsbeispiel: das Fahrkartentool des Technikmuseum Berlin
Das Deutsche Technikmuseum Berlin hat sich 2017 bei Coding da Vinci beteiligt. In den Hackathon eingebracht wurde ein Datensatz mit ca. 120.000 Abbildungen von internationalen Fahrkarten aus der Zeit der Entstehung des Personenverkehrs Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1925. Die Tickets hatte der Opernsänger Fritz Hellmuth gesammelt. Die Sammlung wurde 1926 vom Berliner Verkehrs- und Baumuseum übernommen und ist heute im Historischen Archiv der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin zugänglich. Dort ist sie im sog. „Fahrkartenschrank“ zu besichtigen. Scans zur Sammlung waren und sind auf Wikimedia verfügbar.

Fritz reist um die Welt
Offenbar regte die Fahrkartensammlung die Phantasie der Entwickler beim Hackathon deutlich an und inspirierte zum Projekt „Fritz reist um die Welt„. Zielstellung des Projekts war nicht nur ein kreativer digitaler Umgang mit den verfügbaren Daten, sondern auch die bislang noch ausstehende Verschlagwortung der Fahrkartensammlung des Technikmuseums mithilfe eines Crowdsourcing-Tools. Die webbasierte Anwendung ist heute unter der URL https://fahrkartentool.sdtb.de/ zu erreichen und bietet einen Bearbeitungs- und einen Erkundungsmodus. Im „Bearbeitungsmodus“ kann der User Fahrkarten mit Metadaten wie Abfahrts- und Zielort, Kategorie und Beschreibungstext anreichern oder die Eingaben anderer Benutzer prüfen. Für die Verschlagwortung wird er mit Punkten belohnt. Wer ein Profil erstellt, kann seinen Punktestand speichern. Eine Rangliste zeigt die User mit den meisten Punkten an. Nach der Eingabe wird die Fahrkarte und die gefahrene Verbindung auf einer Weltkarte markiert. Im „Erkundungsmodus“ ermöglichen darüber hinaus tabellarische Ansichten der Tickets, der aufgenommenen Orte und Kategorien eine bequeme Verwaltung der digitalisierten Sammlung. Um einen möglichst offenen Umgang mit den gesammelten Daten zu ermöglichen wurde zudem eine REST-API eingerichtet, über die die vorliegenden Daten im JSON- und CSV-Format exportiert werden können.
Das Projekt richtet sich sowohl an die eher spielerisch veranlagte “Crowd”, als auch an Archivare und Wissenschaftler, die mehr über die globalen Verflechtungen im Reiseverkehr des ausgehenden 19. Jahrhunderts erfahren möchten. Durch die integrierte API richtet sich das Projekt nicht zuletzt auch an Entwickler, welche die Daten in eigene Projekte integrieren können. Das Fahrkartentool ist auf Github frei verfügbar und unter der GPL3 lizensiert. Es baut auf einem ebenfalls im Rahmen von Coding da Vinci entwickelten Projekt zur automatisierten Ticketerkennung von Finn Pauls auf (Github).

 

 

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