Die Fagus-Werke im niedersächsischen Alfeld wurden am 25.06.2011 von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt. Der von Walter Gropius entworfene Bau ist damit künftig auf gleicher Stufe mit dem Schloss von Versailles oder dem Kölner Dom. Die Fabrik in Alfeld ist das Erstlingswerk des Architekten und Bauhaus-Gründers Gropius und gilt als Schlüsselbau der Moderne. „Mit der Konstruktion aus Glas und Stahl (…) verlieh Gropius dem dreistöckigen Fassadengebäude eine schwerelose Eleganz, die damals für Fabriken außergewöhnlich war“, lobt die deutsche Unesco-Kommission den Bau. Die vor 100 Jahren gebaute Schuhleistenfabrik gilt damit als universelles Erbe der Menschheit und genießt besonderen Schutz.
Tatsächlich hat die Unternehmerfamilie Benscheidt mit den FAGUS-Werken nicht nur einen Pionierbau geschaffen, sondern auch eine genaze Reihe weiterer junger Künstler beschäftigt. Neben Albert Renger-Patzsch, der die Fabrik in den 30er Jahren fotografisch dokumentierte, hat auch der jungen Maler und Gebrauchsgraphiker Johannes Molzahn (1892-1965) für die Fabrik gearbeitet.
1922 machte Walter Gropius den befreundeten und im Bauhaus-Umfeld beheimateten Künstler Molzahn auf die Fagus-Werke in Alfeld aufmerksam. Molzahn war gerade nach Soest in Westfalen umgesiedelt und hatte ein „Industrie-Reklame-Büro“ eröffnet. Er träumte, wie an Freunde schrieb, von einer modernen Reklame, „eine noch amerikanischere Reklame als man sie in Amerika kennt“. Seine Arbeiten für die Fagus-Werke zählen heute zu den bedeutendsten Beiträge der modernen Typographie und sind in den wichtigsten Sammlungen vertreten:
Johannes Molzahn als Gebrauchsgraphiker für die Fagus-Werke
Molzahns Kontakte zu Karl Benscheidt und seine Arbeit für die Fagus-Werke in Alfeld sind in einer umfangreichen Korrespondenz und einigen Entwurfsarbeiten aus der Zeit von 1922 bis 1925 belegt[1]. Auf Anregung von Gropius übersandte Molzahn am 10. Februar 1922 ein Bewerbungsschreiben und die Photographien einiger neuer Gebrauchsgraphiken, die er eigens für die Fagus-Werke angefertigt hatte. In einem freundlichen Antwortschreiben lehnte Karl Benscheidt vierzehn Tage später zwar das von Molzahn vorgeschlagene neue Firmenzeichen ab, bat aber um die Übersendung weiterer Arbeiten, da ihn die Entwürfe neugierig gemacht hatten. Nach einem ersten Besuch in Alfeld im März 1922 händigte Benscheidt dem Künstler weiteres Anregungsmaterialien zu den Produkten der Firma und Entwürfe von Gropius zur Innenausstattung der Gebäude aus.

Sein Vorgehen kommentierte er mit den Worten: „Mein Bestreben wird es sein, Ihnen nach Möglichkeit alle Anregungen zu geben, die ich Ihnen geben kann. (…). Unsere Unterhaltungen haben mich sehr angeregt, sodass ich eine Anzahl neuer Pläne geschmiedet habe“[2].
Erste Entwürfe
Im April 1922 lieferte Molzahn schließlich erste Entwürfe für die Schutzmarke der Fagus-Werke und wurde für die geleistete Arbeit erstmals entlohnt. Im darauf folgenden Monat fertigte er einen Entwurf für eine neue Reklametafel im Eingangsbereich der Fabrik. Dieser wurde von Benscheidt zunächst kritisiert, nach Rücksprache mit Gropius aber angenommen: „Mein erster Eindruck und auch der meines Vaters waren Überraschung und Gefallen. Nachher kamen mir aber doch Zweifel, ob die Reklame durch die Häufung der Pfeile nicht etwas aufdringlich wirken würde. Ich habe die schlichte Art, wie der Firmenname an den Gebäuden steht, immer besonders schön gefunden, und es darum für meine Pflicht gehalten, mich zunächst mit Gropius in Verbindung zu setzen. Dieser schreibt mir nun heute: „Mir gefällt der Entwurf gut und ich möchte Ihnen raten, ihn in dieser Form ausführen zu lassen. Ich finde ihn, da er im Formcharakter leicht ist, nicht zu aufdringlich. Reklame hat ja den Wert, das Auge auf sich zu lenken. Die vorliegende Form ist aber durchaus nicht unvornehm. Ich glaube, dass sich der Formcharakter mit dem Gebäude verträgt“. Damit fallen für mich die letzten Bedenken, denn Gropius ist für mich in allen Fragen des Geschmackes die Autorität, ganz besonders dann, wenn es sich um etwas handelt, was mit unseren Bauten in Verbindung steht (…). Ich bitte Sie nun, mir entsprechende Schablonen und Detailblätter für die Beschriftung anzufertigen2[3].

Dieses Schreiben dokumentiert nicht nur das intensive Vertrauensverhältnis zwischen Benscheidt und Gropius, sondern auch die Kontrollinstanz, die der Leiter des Bauhauses für die ersten gebrauchsgraphischen Arbeiten Molzahns darstellte. Nachdem Gropius sein Einverständnis erklärt hatte, wurde Molzahn mit der Neugestaltung der gesamten Firmenreklame beauftragt: bis zum Jahr 1925 lieferte er Entwürfe für Maßtabellen, Brenn-, Stahl- und Gummistempel, Besuchskarten bzw. -anzeigen, Brief- bzw. Mitteilungsbögen, Rechnungsformulare, Normumschläge, Postkarten, Mahnformulare, Paketkarten, Werbeanzeigen und Prospektblätter. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte Benscheidts Vertrauen in die gestalterischen Fähigkeiten von Molzahn im April 1924, als der Firmenchef den Künstler um die „Bekanntgabe aller negativen Auffälligkeiten in der Druckgraphik der Benscheidt-Werke“[4] bat und diese nach den Vorschlägen des Künstlers korrigierte.
Von Molzahn zu Herbert Bayer
1925 wurde Molzahn als Werbegraphiker der Fagus-Werke von seiner Aufgabe entbunden und die Ausführung der künftigen Arbeiten an den Leiter der Bauhaus-Werkstatt für Druck und Reklame, Herbert Bayer, vergeben[5]. Zu diesem Zeitpunkt war das graphische Erscheinungsbild der Fagus-Werke aber bereits fast vollständig überarbeitet. Die Weiterbetreuung der betrieblichen Drucksachen durch Bayer geschah vermutlich im Einvernehmen mit Molzahn und diente lediglich der kostengünstigeren Koordination von Entwurf und Druck durch das Bauhaus. Erst für die Zeit nach Bayers Weggang aus Dessau 1928 ist wieder ein Auftrag der Fagus-Werke an Molzahn nachweisbar[6].
Molzahn und die zeitgenössische Typographie
Für seine Arbeit wurde Molzahn offensichtlich von Benscheidt mit Literatur über die moderne Typographie versorgt. Zusätzlich konnte er sich von seinen Freunden Robert Michel und Kurt Schwitters beraten lassen, die wie zahlreiche andere Künstlerkollegen nach 1921 ihr Schaffen auch auf die Gebrauchsgraphik ausgedehnt hatten. Schwitters gründete 1924 das „MERZ-WERBE-Büro“ in Hannover und legitimierte damit seinen komplexen Gestaltungsbegriff, der alle Lebensbereiche umfassen und die herkömmlichen Gattungsgrenzen von bildender Kunst, Werbegraphik, Architektur, Plastik und Dichtung auflösen sollte. In Heft 11 der von ihm publizierten MERZ-Zeitschrift stellte der Künstler seine „Thesen über die Typographie“ vor und gab damit eine Anleitung zur Gestaltung moderner Reklame[8]. Schwitters Thesen waren, wie die nahezu zeitgleich entwickelten Anweisungen von Max Burchartz, Jan Tschichold oder des Bauhauses, für Molzahn wegweisend. Im Zuge der Tätigkeit für die Fagus-Werke reiften Molzahns Gebrauchsgraphiken von einem „anfangs experimentellen, dann programmatischen Avantgardismus“ zu „souveräner Professionalität“[9]. Waren seine ersten Arbeiten wegen ihrer mangelnden Präzision und der daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der drucktechnischen Umsetzung von Benscheidt kritisiert worden, so fand der Künstler „unter dem Eindruck moderner Wirtschaftsformen auch stilistisch zu jener konstruktiven Klarheit und sachlichen Funktionalität, die für seine weitere gebrauchsgraphische Arbeit bestimmend blieb“.
Bei der Konzeption seiner Entwürfe orientierte sich Molzahn an den Grundsätzen elementarer Typographie. Auf der Grundlage der psychologischen Wirkungsmechanismen der Werbung konzipierte er seine Arbeiten nach den Kriterien der Typisierung, Normierung und Funktionalität. Übersichtlichkeit, klare Schrifttypen, einfache Symbole wie Pfeile, Kreise und Rahmen, und der Verzicht auf plakative Ornamentik charakterisieren die Arbeiten dieser Zeit.
Seine aus dieser Beschäftigung resultierende Beziehung zur Familie Benscheidt hat Molzahn 1934 resümiert: „Meine ersten Auftraggeber auf dem werbegraphischen Gebiet wurden mir zugleich die besten Lehrer der Praxis, – die Herren Karl Benscheidt Vater und Sohn (…). Auf zahlreichen Gängen durch das Werk, intensiver Unterweisung der Produktionsvorgänge und auch in der Folge praktischer Zusammenarbeit, wurde mir insbesondere Karl Benscheidt der Jüngere ein unübertrefflicher Lehrer moderner Produktions- und Wirtschaftsformen. Hier ging mir der tiefe und ethische Sinn und die Zusammenhänge der Arbeit auf: wie die geformte Materie bedingt ist durch den Arbeitsvorgang, der wiederum nichts anderes ist als das mehr oder weniger organisierte „Werkzeug“, das die Zeit uns in die Hand drückt“[10].