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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

Über 140 Zeichen – Lesenswertes über Twitter

Über 140 Zeichen – Lesenswertes über Twitter

Stephan Porombka (Hg.), Über 140 Zeichen. Autoren geben Einblick in ihre Twitterwerkstatt, Berlin 2014 (Ebook)
Stephan Porombka (Hg.), Über 140 Zeichen. Autoren geben Einblick in ihre Twitterwerkstatt, Berlin 2014 (Ebook)

Ein Buch nicht nur über Twitter
Ich hab da ein kluges und leidenschaftliches Buch auf den Tisch (oder genauer auf’s iPad) bekommen: „Über 140 Zeichen – Autoren geben Einblick in ihre Twitterwerkstatt„. 17 Autoren spannen einen fulminanten Kosmos auf, der so viel mehr ist als nur 140 Zeichen. Und der vor allem auch eines deutlich macht: wer auf Twitter nur prokrastinierten Trash und sinnfreien Info-Müll vermutet, hat einfach keine Ahnung. Gar keine. 

Ein Buch über Schreib- und Lebensstile
Twitter mag sich in den einzelnen Tweets auf 140 Zeichen beschränken, – in der Gesamtheit bietet die Plattform aber (fast) unendlich viel Platz, um unterschiedliche Schreibstile auszubilden, mit Literaturtechniken zu experimentieren, den etablierten Literaturbegriff auszudehnen und das Leben zu entwickeln. Und vielfach ist es gerade der Zwang zur Verknappung und zur Präzision, der zu tollen Ergebnissen führt. „Sprachkürze gibt Denkweite“ heißt es bei Jean Paul. Und wie recht er hat!
Von „poetischen Fluchtgedanken“ und dem „Wichsen mit Worten“
Wir erfahren in dem eBook von unterschiedlichen Twitter-Autoren über Strategien des Lesens, des Sendens, des Kommentierens, des Antwortens und des Vernetzens. Wir lernen, wie man am Denken anderer Menschen teilhaben kann, was genauso inspirierend wie verstörend sein kann. Wir lernen über „virtuelles Brauchtum“, „poetische Fluchtgedanken“ und „lebendig produzierende Kommentardrüsen“.  Wir lesen von Twitterern als „Alltagsbeobachtern“, die das Netz als „Bilderbuch benutzen, an dem man sich nie sattsehen kann“ (@Chouxsie). Wir hören über Menschen als Monaden, die mit freier Syntax eine „klarsichtige Fieberwelt betreten“. Wir lernen über Twitterer als Echtzeitkuratoren, die ihre Timeline wie ein surrealistisches Labor gebrauchen (@HansHütt). Wir blicken sinnierend auf das „Wichsen mit Worten“ (Danke @Milenskaya!) und die Selbstbetrachtungen im „Institut für unangenehme Wahrheiten und Lebenslügen“ (@vergraemer).  Wie müde und aus der Zeit gefallen erscheinen da die Gegenwelten der FAZ, wie Enzensberger Regeln für den digitalen Suizid.


Autoren öffnen ihre Twitterwerkstatt
Schaut man genau hin, dann hat man es bei Twitter mit einer neuartigen Öffentlichkeit zu tun, die komplexen literarischen und ästhetischen Programmen folgt, die individuell ausgestaltet werden. In dem eBook öffnen Autoren ihre Twitterwerkstatt. Sie zeigen in ihren Essays, wie sie an und mit den Tweets arbeiten und „Worte als Freunde“ begreifen. Sie geben Einblick in ihre Kreativität und warum sie auf Twitter und nicht auf Facebook agieren. Sie machen deutlich, wie Offline-Beziehungen und Online-Miteinander funktionieren, wie man den Alltag als ethnografische Forschungsreise begreift und einer „unwägbaren Öffentlichkeit“ die Tür zum eigenen „Denkarium“ öffnet (@sinnundverstand). Im besten Sinne: „Über 140 Zeichen“ präsentiert kleine Best-Practice-Studien. Dabei kann man den Twitter-Autoren beim Machen über die Schulter schauen, – und dann ggf. selbst überlegen, wie man die eigene Twitter-Werkstatt aufbauen oder weiterentwickeln will.


Stephan Porombka
Der Herausgeber des Buches, Stephan Pormbka, war zuerst Germanist, dann Literaturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Neue Medien und Literaturbetrieb, Hypertext-Experte, Slammer, Kulturjournalist und Projektemacher. Heute ist er experimenteller Kulturwissenschaftler, produktiver Gegenwartsbeobachter und seit 2013 Professor für Texttheorie und Textgestaltung an der Akademie der Künste Berlin. Im Frohmann Verlag gibt er die wissenschaftliche Reihe Generator heraus, die sich der Beschreibung und Erzeugung neuer kultureller Phänomene widmet.
In „Über 140 Zeichen“ versammelt er Beiträge von der Buchhandlung am Turm (Edda Braun), Chouxsie, Jan-Uwe Fitz, Christiane Frohmann, Gallenbitter, Horst, Hund und Brodt, Hans Hütt, Wibke Ladwig, Milena Lebowski, Mann vom Balkon, Anousch Mueller, Stephan Porombka, Nein Quarterly, Sebastian van Roehlek, Ute Weber und Wondergirl.
Stephan Porombka (Hg.)
„Über 140 Zeichen. Autoren geben Einblick in ihre Twitterwerkstatt“
E-Book (ePub, mobi, pdf)
Berlin 2014
Frohmann Verlag
Preis: EUR 2,99
ISBN: 978-3-944195-24-7
Erhältlich u. a. beim sympathischen Indiehändler minimore.de
https://twitter.com/vergraemer/status/444507709829046272

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