Es ist kompliziert. Aber auch das Theater hat ein Verhältnis zum Netz. Marc Lippuner stellt bei den Kulturfritzen immer wieder die Frage nach Möglichkeiten, Perspektiven und Umsetzungen dieser Beziehung. Eine Blogparade mit einer Vielzahl lesenswerter Beiträge wurde gerade bis zum 14. Februar verlängert. Als netzaffiner Theatergänger reiche ich eine persönliche Perspektive nach.
Das Unberechenbare und das Kalkulierbare
Ja, das Theater begegnet mir auch auf der digitalen Bühne. Täglich. Mehrfach. Immer wieder lese und lausche ich mich im kontinuierlichen Nachrichtenstream in die Impressionen von vor und hinter den Bühnen hinein. Vor allem auf Twitter und Instagram, wo mir die Bilder und Geschichten inspirierter und freier erscheinen, als in anderen Medien. Wo sie launisch passieren, en passant, mal tröpfelnd, dann wieder strömend. Wo die transportierten Wörter und Sätze, Bilder oder Videos gerne auch Denknotiz oder Metapher bleiben, – und gerade deshalb viel Platz für Empathie bieten. Natürlich, auch auf Facebook ein Theater. Dort aber im Kontext eines zunehmend deutlicher professionalisierten Kommunikationsinstrumentes. Irgendwie schon in eine Selbstverständlichkeit gewachsen, beinahe Alltagsroutine, – und damit berechenbar. Das ist gut und schlecht zugleich. Womöglich ist es gerade das Unberechenbare, das Offene und Diskursive, das die sozialen Medien im Kontext des Theaters spannend macht.
In München
In München vernehme ich das Theater im Netz als inspirierendes Funkeln, – vor allem beim Residenztheater, denen das crossmedial, kontinuierlich und mit einer grandiosen Selbstverständlichkeit bzw. Leidenschaft gelingt. Zunehmend auch bei den Kammerspielen, deren digitale Bühne aber noch lebhafter bespielt werden kann. Die Staatsoper nehm ich bei meiner Betrachtung mal aus, weil die zu den ganz großen Pionieren des Socialmedia gehört und es hier eigentlich offensichtlich ist, was man „richtig“ machen kann. Die anderen Häuser? Das Volkstheater ist jährlich Schauplatz des Zündfunk Netzkongress. Und das Gärtnerplatztheater ist wohl auch da. Die beiden erscheinen aber digital mehr als diffuse Häppchenschleuderer, mehr Information als Inspiration. Da würde ich ganz klar mehr erwarten. Mit Spannung sehe ich auf das Prinzregententheater und die Theaterakademie August Everding, die sich gerade neu aufgestellt haben und nun mächtig Gas geben. Am 13. Februar geht’s auf ein Tänzchen mit #Carmenundich. Das Verhältnis von Theater und Netz erscheint dann zuweilen doch auch gerne als vornehme Stille, – in die gelegentlich ein Räuspern fällt. Wenn es um die Kriterien „Sichtbarkeit“ und „Reichweite“ geht, sind einige Spielorte nahezu unsichtbar. Erstaunlich, da die Theater doch eine ganz ansehnliche digitale Community befördern und zum Teil mit den regionalen Museen gleich auf liegen (Stand Feb. 2016):
- Residenztheater (11.284 Fans auf Facebook)
- Münchner Kammerspiele (10.545)
- Deutsches Theater (10.168)
- Münchner Volkstheater (9328)
- Staatstheater am Gärtnerplatz (5040)
- Prinzregententheater / Theaterakademie (4813)
- Schauburg München (1235)
- Metropoltheater (1151)
- i-camp (864)
- Teamtheater (765)
Auch hier gilt: Zahlen sind nicht alles. Das Ranking spiegelt aber ganz gut auch das jeweilige digitale Engagement. Und das erschöpft sich dann eben nicht nur in fröhlich kommunizierten Veranstaltungsdaten an treue Fans oder gelegentlichen Fotos aus dem Bühnenraum, sondern in echten und authentischen Konzepten, die eine Verbindung von digital und analog versuchen.
Mehr als eine Frage der Kommunikation
Die Blogparade der Kulturfritzen verstehe ich aber nicht nur als Frage nach den möglichen Dimensionen der digitalen Kommunikation. Im Grunde ist es doch „nur“ eine strategische Entscheidung, ob man diese oder jene digitale Plattform bespielt, den Livestream ins Theater holt und es dem Publikum ermöglicht, den „Shakespeare“ auch vom Schreibtisch zu verfolgen(über den Sinn kann man streiten). Auf diese Facetten gibt es also schon Antworten und sie werden nach den eigenen Perspektiven und Möglichkeiten skaliert.
Spannender ist die Frage, ob man über das Digitale auch die Bühne erweitern, oder beides in ein inspiriertes Neben- und Miteinander bringen kann. Mit einem leichten (wohligen) Schauern denke ich da an meine Erfahrungen beim Livetwittern von der Bühne zur Twitter-Theater-Woche zurück. An das seltsame (Un)gefühl der eigenen Rolle auf der Bühne. Bis heute habe ich keine richtigen Worte um diese Zwischenebene zu beschreiben, in die man als gleichzeitiger Zuschauer und Akteur auf der Bühne gehoben wurde. Es war ein eindrucksvoller Moment, der mich auf eine ganz andere Weise in ein besonderes, ungekanntes, Verhältnis zum Stück bzw. zum Theater gebracht hat. Nicht, dass ich daraus jetzt eine Massenerfahrung machen wollte. Funktioniert sicher nicht. Aber die Richtung war gut. Die Fortsetzung der Bühne in einen digitalen Denkraum, die Erweiterung des Sicht- und Hörbaren um eine beschreibende, fühlende, interagierende, kollektive und für alle sichtbare Komponente. Die Ausdehnung der Zeit, weil die Begegnung des Zuschauers mit einem Thema nicht erst um 20 Uhr auf der Bühne beginnen muss, sondern bereits lange zuvor im Netz einen Anfang finden kann und auch lange nach dem Ende der Vorstellung noch nicht beendet sein muß. Die Erweiterung des Ortes, weil das Virtuelle für immer mehr Menschen auch eine Nebenrealität markiert, die, aller scheinbaren Endlosigkeit zum Trotz, auch wieder Übersicht schaffen kann: die Gesamtheit der Shabbyshabby Appartements hat sich mir erst im Netz richtig offenbart. Und je sozialer das Theater wird, je mehr es die eigentlichen Bühnen verlässt und in die Städte zieht, je dichter es an den Menschen heran tritt, umso deutlicher wird der eigentliche Impuls durch die Interaktion des Publikums verstärkt. Dabei macht es aber weder Sinn klassische Formate einfach ins Netz zu übertragen, noch hybride High-Tech-Impulse zu generieren, die nur von einer digital affinen Blase aufgefangen und verstanden werden. Vielleicht sollte man vor die Ideenfindung einer digitalen Interaktion erst einmal die Frage stellen, was man damit überhaupt erreichen möchte? Verzeihung wenn das so banal erscheint. Aber ich habe oftmals den Eindruck, dass den verschiedenen Akteuren im Theater da gerne auch mal eine gemeinsame Position resp. Sprache fehlt? Und im Output entsteht dann doch wieder nur etwas, bei dem es um „Sichtbarkeit und Reichweite“ geht. Das wär dann doch nur wieder Marketing. Wir waren doch (sind) doch schon auf einem besseren Weg. Bitte etwas mehr Mut, mehr „Call Cutta„, mehr RomoeundJulia, vielleicht auch mehr „Banales“ um anders ins Denken zu kommen. Warum ich #Carmenundich der Theaterakademie August Everding einen spannenden Ansatz finde? Weil es nicht um Socialmedia geht. Es geht um die Menschen, ihre ganz persönliche Bezug zu einem Thema, ihre Leidenschaften, ihre Empathie und Gefühle. Ich bin gespannt.
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