Längst gibt es zahlreiche Projekte im musealen Kontext, die über die freie Verschlagwortung („Tagging“) von Sammlungsobjekten neue Informationsräume eröffnen, Zusammenhänge aufzeigen, Forschungsgrundlagen schaffen und kognitive Prozesse initiieren. Vielfach sind es dabei gerade „Nicht-Experten“, die zur Anreicherung der Datenstrukturen der Objekte beitragen. Und wieder einmal sind es weitgehend ausländische Projekte, die mit entsprechenden Konzepten arbeiten. [tweetable]Eine Ausnahme in Deutschland: #ARTigo[/tweetable].
ARTigo
ARTigo wurde von Kunsthistorikern, Informatikern, Computer-Linguisten und Linguisten der Ludwig-Maximilian-Universität München als Online-Spiel (mit mittlerweile zahlreichen Spielvarianten) konzipiert. Bei dem Spiel geht es um „Social Tagging“, also das gemeinschaftliche Anotieren von Kunstwerken im Rahmen von #Gamification. Das Prinzip ist einfach: Das Spiel sammelt Schlagworte (mittlerweile sind es 7 Millionen) , die von Nutzern (bis November 2013 waren es über 180.000 Mitspieler) spontan beim Betrachten eines Kunstwerkes eingegeben werden. Bei der populärsten Spielvariante werden jeweils zwei einander unbekannte Spieler zusammengeschaltet. In einer Wettkampfsituation taggen diese dann innerhalb eines festgelegten zeitlichen Intervalls um die Wette, – und um Punkte. Im Backend wird ein Schlagwort nur dann in die Datenbank übernommen, wenn es unabhängig von beiden Nutzern genannt wird, – die im Falle eines gemeinsamen Treffers auch Punkte erhalten. Die Datenbank selektiert in und über diese Bewertung relevante Begriffe vom Trash.
Ziel des Projektes ist es, Kunstwerke auch einer breiten Öffentlichkeit leichter recherchierbar zu machen: „Die Nutzer sollen Werke im Netz aufspüren können, etwa auch wenn sie nur thematisch suchen wollen“, sagt der LMU-Informatiker Professor François Bry, der maßgeblich an der Entwicklung der Kunst-Suchmaschine beteiligt war, auf der das Projekt ARTigo basiert. „Die Schlagworte werden künftig auch unspezifische Suchen erleichtern – selbst wenn weder Titel noch Künstler des Werkes bekannt sind“. Auch Analysen zu den bislang vergeben Schlagworten laufen bereits. So hat sich Sabine Scherz die benutzten Farb-Tags zu den ARTigo-Bildern angesehen oder Schlagworte untersucht, die bevorzugt im Zusammenhang mit Werken des „Klassizismus“ oder „Expressionismus“ stehen. Schon jetzt bietet das Projekt eine Sammlung von über 40.000 Kunstwerken, die größtenteils über die Suchfunktion im Spiel auch wieder nach den vergebenen Tags sortiert und selektiert werden können.
Datenbanken und Institutionen wie Prometheus, aber auch die Kunsthalle Karlsruhe und das Rijksmuseum, haben Reproduktionen von Bildern aus dem eigenen Datenbestand in ARTigo zugefügt. Die Zuverlässigkeit und Wertigkeit einer solchen Datenbank kann freilich nur wachsen, wenn sich immer mehr Sammlungen dazu entschließen, den eigenen Datenbestand über Schnittstellen zu ARTigo zu öffnen. Von der Verschlagwortung der eigenen Bestände können sie nur profitieren.
„Posse“ im Brooklyn Museum
Das Brooklyn Museum in New York zählt sicher zu den Pionieren im Bereich des social tagging. Zur Verschlagwortung der eigenen, primär volkskundlichen, Sammlung hat das Museum den Bestand online gestellt und bereits 2009 eine Softwareumgebung „Posse“ implementiert“(…) The Brooklyn Museum recently launched a project to put our Collection online with three distinct goals. First, make the data available for researchers and scholars. Second, provide a way a casual user could just jump in and start to visually navigate throughout. Third, create an interface that would be in keeping with our mission and our community-oriented goals. All of these factors are in careful balance. The strict data is there in clearly formatted areas and we provide an easy way to print this kind of information. We’ve implemented a very visual „related“ column to promote browsing and accidental discoveries (serendipity is key). We’ve created a social component (The Posse) where visitors can create accounts and then anything they favorite, tag or comment on will be attributed to them both in the collection area and on their profiles. (…)“
Die teilnehmenden User werden in einer eigenen Community (mit Login) dokumentiert und können dort auch Tagging Games spielen, die die Wertigkeit und Präszision der Schlagworte selbstregulierend prüfen oder vertiefen. Im Frontend der Website (ohne Login) werden die „Top Tagger“ benannt und die vergebenen Tags abgebildet. Über den Klick auf ein Schlagwort lassen sich so die Museumsobjekte nach Themen wie „Ramses II„, „Blue“ oder „Impressionism“ sortieren.
The Steve Project
Dass das Thema Social Tagging schon älter ist, macht letztlich das „Steve Project“ deutlich, das aus den Jahren von 2008 bis 2011 datiert. Das us-amerikanische „New Media Consortium“ hatte unter Beteiligung namhafter Museen in den USA eine Plattform und Tools entwickelt, die das „visitor engagement with collection objects“ ermöglichen und Transparenz und Verfügbarkeit der Sammlungen befördern sollten: „Steve is a collaboration of museum professionals and others who believe that social tagging may provide profound new ways to describe and access cultural heritage collections and encourage visitor engagement with collection objects. Our activities include researching social tagging and museum collections; developing open source software tools for tagging collections and managing tags; and engaging in discussion and outreach with members of the community who are interested in implementing social tagging for their own collections„. 21 Institutionen hatten sich beteiligt und gut 97.000 Objekte wurden von über 8000 Usern verschlagwortet. Auf tagger.steve.museum kann das Resultat noch heute benutzt werden.
- Abschlußbericht zum Projekt: Entwicklung sozialer Web-Plattformen zur Datengewinnung in den Geisteswissenschaften (KO 1091/4-2), 20.11.2013 (PDF, zuletzt 22.11.2013)
- Oliver Gassmann: Crowdsourcing. Innovationsmanagement mit Schwarmintelligenz, München 2013 (Leseprobe bei Hanser)
- Sabine Scherz (2012): Wie Bilddatenbanken nach Schlagworten jagen, in: Blog „Computerspiel und Ästhetik“, 10.11.2012, URL: http://games.hypotheses.org/718, zuletzt 22.11.2012.
- Merete Sanderhoff, Open Content from Danish Museums, 2012 (PDF on Slideshare, zuletzt 22.11.2012.)
- Nina Simon (2008): Two Tagging Projects that make sense, in: (Blog) Museum 2.0, 06.11.2008, URL: http://museumtwo.blogspot.de/2008/11/two-tagging-projects-that-make-sense.html, zuletzt 22.11.2012.
- Clay Shirky: Cognitive Surplus, New York 2011
- Claudine Moulin: Vom mittelalterlichen Griffel zum Computer-Tagging. Zur sprach- und kulturgeschichtlichen Bedeutung der Annotation, in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur: Jahrbuch/2010, Stuttgart 2010, S. 84-99
- Jeff Howe: Crowdsourcing. Why the Power of the Crowd is Driving the Future of Business, New York 2008
- steve: exploring folksonomy in the art museum, zuletzt: 22.11.2013
- Gene Smith: Tagging: People-Powered Metadata for the Social Web, Berkeley 2008
- J. Trant, Social Tagging Museums: Research and Reflections, 2008 (PDF, zuletzt: 22.11.2013)
- Jennifer Trant und Bruce Wyman, Investigating social tagging and folksonomy in art, 2006 (PDF, zuletzt: 22.11.2013)
- James Surowiecki: Die Weisheit der Vielen: Warum Gruppen klüger sind als Einzelne und wie wir das kollektive Wissen für unser wirtschaftliches, soziales und politisches Handeln nutzen können, München 2005
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