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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

dOCUMENTA (13) – der digitale Raum

dOCUMENTA (13) – der digitale Raum

Museum Fridericianum, 2012, Museum Fridericianum, 2012, Foto: Nils Klinger © dOCUMENTA (13)
Museum Fridericianum, 2012, Museum Fridericianum, 2012, Foto: Nils Klinger © dOCUMENTA (13)

Im Juli 2011 hatte ich das Social-Media-Konzept der Biennale in Venedig einer genaueren Analyse unterzogen. Nun steht das nächste Großereignis an: die dOCUMENTA (13) in Kassel.
Dieses Jahr werde ich das Online-Konzept der Veranstaltung im Vorfeld kurz betrachten und nach den 100 Tagen erneut analysieren. Hier meine Anmerkungen nach dem ersten Blick auf den digitalen Raum dOCUMENTA (13):

Die Website
Die Website der dOCUMENTA präsentiert sich auf den ersten Blick als ein ambitioniertes Portal, das mehr Plattform als statisches Informationskondensat zu sein scheint. Das Design der Site stammt von der italienischen Design-Agentur Leftloft, die Umsetzung erfolgte durch die Kasseler Agentur basis5. Die Website ist zweisprachig und führt in einem, vorsichtig gewöhnungsbedürftigen, Navigations-Nebeneinander drei Kernbereiche vor: Panorama, Information und Research.

http://d13.documenta.de/de/#de/welcome/
http://d13.documenta.de

Das „Panorama“ eröffnet derzeit den Blick auf das Frontispiz des Science-Fiction-Romans „The Invention of Morel“ (deutsch: „Morels Erfindung“, 1940) des argentinischen Schriftstellers Adolfo Bioy Casares (1914-1999). Der Roman erzählt die Geschichte eines Mannes, der auf der Flucht vor der Justiz eine einsame Insel erreicht und dort maschinengesteuerten, menschlichen Hologrammen begegnet. Das Buch nimmt Motive der Virtualität voraus, gilt als einer der ersten südamerikanischen Science-Fictions und mitunter als Quelle für die erfolgreiche Fernsehserie „Lost“.
Im Bereich „Information“ kann die Künstlerliste der dOCUMENTA-Teilnehmer recherchiert werden, wobei diese nicht nur alphabethisch nach Namen (und mit Kurzbiographie) sortiert sind, sondern auch nach „Berufsbezeichnungen“ gelistet werden. Auf diese Weise wird deutlich, dass zur dOCUMENTA viele Professionen von A wie Agent und Agrarökonom über F wie Feminist(in) bis Z wie Zoologe beigetragen haben. Weitere Teilbereiche der Rubrik informieren über Begleitprogramm und Sonderprojekte (wie den Hundekalender der dOCUMENTA), Führungsprogramm (dTOURS) und eröffnen einen interaktiven Veranstaltungskalender. Hilfreich ist dem Besucher sicher auch eine kurze Übersicht der bespielten dOCUMENTA-Locations, wobei es schade ist, dass offensichtlich der „digitale Raum“ nicht auch als Ort verstanden und komuniziert wird, obwohl die dOCUMENTA dort einiges zu bieten hat.
„lesen“, „besuchen“, „kaufen“ und „arbeiten“
Die ebenfalls auf der Site geführten prägnanten Unterrubriken „lesen“, „besuchen“, „kaufen“ und „arbeiten“ informieren über zentrale Fragestellungen und Anforderungen des Publikums bzw.der Institution, machen aber wohl auch deutlich, dass das Thema „Partizipation“ (im Sinne eines dialogischen Kommunikationskonzepts) wohl nicht in einen Fokus gerückt wurde. Zwar werden auf der Startseite die Icons von Facebook und Twitter (und zuweilen ein Sharing ausgewählter Inhalte über einen addthis-Reigen) angeboten, mehr Dialog scheint derzeit auf der eigentlichen Website aber nicht möglich. Die Veranstaltung selbst ist für das Thema Partizipation geöffnet und ruft über das „Critical Art Ensemble“ zum „Mitmachen“ auf.
Der Bereich „Research“ ist ausschließlich in Englisch verfügbar und erschließt alle digitalen und analogen Ressourcen zur dOCUMENTA über ein umfangreiches Glossar, nach den jeweiligen Formaten (Text, Image, Video, Audio, Links) und weiteren Charakteren (Rocks, Maps, Computing, Dance, Books und die scheinbar unvermeidlichen „Dogs„). Die Beiträge erscheinen fast durchwegs nur in einem chronologischen Listing nach dem Veröffentlichungstermin und laufen lustig über mehrere Seiten hinweg. Das „Research“ scheint sich mir hier ein wenig mehr zur bloßen Dokumentation zu entwicklen und in der Abwicklung eines Crosslinkings zu erschöpfen. Hier wäre differenziertere Such-, Sortierungs- und Filterinstrumente sicher hilfreich, zumal wenn, wie zu erwarten, der Content rasant wachsen wird.
Etwas versteckt im Footer liegt der Bereich „archivieren“, der ein handliches Archiv der vergangenen Ausstellungen (inklusive der alten Websites) von 1955 bis 2007 verfügbar macht.
dOCUMENTA 13 auf Facebook
dOCUMENTA 13 auf Facebook

Facebook
Die dOCUMENTA hat erstmals eine offzielle Facebook-Seite, die derzeit unter der URL https://www.facebook.com/pages/dOCUMENTA-13/105426976878 abrufbar ist. Heute (23.05.12) hat die Seite 8.688 Follower und wird zweisprachig in Deutsch und Englisch bepflegt.
Für die FB-Kommunikation hat die dOCUMENTA offensichtlich feste Katgeorien verplant, in denen regelmäßig über Formate, Publikationen und Veranstaltungen informiert wird. Dazu zählen z.B. Posts über die von der dOCUMENTA und dem Hatje Cantz Verlag  herausgegebenen „100 Notes – 100 Thoughts / 100 Notizen – 100 Gedanken“, die als Publikationen und ebooks angeboten werden: „(…) Der Leser erhält einen einzigartigen Einblick in die Methoden geistiger Arbeit. Die Reihe baut auf inneren Bezügen auf, so dass sie auch als ein “Interregnum” verstanden werden kann, als ein temporärer Bruch mit der diskursiven Intelligenz. Sie führt uns nicht zur Vernunft an sich, sondern zu einem anderen Verständnis der Rolle des Bewusstseins. (…)“. Als weitere Kategorien lassen sich bereits jetzt regelmäßige Posts über das „Video Glossary“ der dOCUMNENTA, die verschiedenen Angebote aus dem Führungskonzept und Veranstaltungshinweise konstatieren. Unklar bleibt, wer hier postet, wie auch bislang nur rudimentär Kommentare in aktive Diskussionen abgesetzt wurden.
YouTube
Die dOCUMENTA hat einen offiziellen YouTube-Channel der über die URL http://www.youtube.com/user/dOCUMENTA13channel zu erreichen ist. Der Channel wurde zum 07.05.2012 eröffnet und hat derzeit gerade mal 7 Abbonenten. Enthalten sind aktuell 16 Videos, die 586 mal abgerufen wurden und allesamt als „Video Glossary“ etikettiert sind: „The dOCUMENTA (13) Video Glossary is a series of one-minute recorded entries by participants in dOCUMENTA (13) who are asked to explore in their own ways a selection of key terms. Without any attempt at being exhaustive, these short videos are intended to define areas of practice and thinking far from the closures in which language and theory sometimes capture these same words and expressions.“
Twitter
Die documenta führt einen eigenen Twitteraccount @13_dOCUMENTA, der heute und jetzt (23.05.12) knapp 100 Tweets abgesetzt hat, 1.843 Follower hat und 541 Usern folgt. Getwittert wird auf Deutsch und Englisch und zunehmend dialogisch, d.h. auf Fragen kommen auch Antworten. Konkurrenz hat dieser Account von zahlreichen Trittbrettfahrern, mindestens von @documenta_13, der derzeit bereits 3.990 Follower hat und 244 Tweets abgesetzt hat.
die dOCUMENTA13 twittert
die dOCUMENTA13 twittert

Hashtag #dOCUMENTA
Tatsächlich existieren bereits mehrere Hashtags zur dOCUMENTA, von denen ich zumindest #d13, #dOCUMENTA und #hrdocumenta (via Hessentwitter des HR Online) aktiv verfolge.  #dOCUMENTA scheint der offizielle Tag der Veranstaltung zu sein, da er vom Twitteraccount der documenta auch benutzt wird.
Die dOCUMENTA (13) dMAP
Für die mobilen User plant die dOCUMENTA mit der dMAP ein digitales Tool zur Orientierung, Interpretation und Partizipation „an den mentalen und physischen Räumen“ der dOCUMENTA (13): „(…)  Den Besuchern wird eine intelligente Kartografie, kombiniert mit Geolokations-Technologien an die Hand gegeben, die es ihnen erlaubt, mit Gewissheit ihre Position zu bestimmen, ihren Weg zu den verschiedenen Bereichen der Ausstellung zu finden und diese zu erleben. Die Räume der dOCUMENTA (13) sind auf zuvor nie erprobte Weise über das gesamte Kasseler Stadtgebiet verteilt. Die Programmierung von dMAPS bietet die Möglichkeit, den Besuchern ein Verständnis der Kasseler Stadtgeschichte der Nachkriegszeit zwischen Zusammenbruch und Wiederaufbau und im Hinblick auf die zeitgenössische Kunst zu vermitteln. (…) dMAPS beruht auf einigen der effizientesten Funktionen von Anwendungen, die speziell für Ausstellungen entwickelt wurden. dMAPS vermeidet es jedoch, die Logik von Audio- und Multimedia-Guides einfach auf das Mobilgerät zu übertragen. Anstatt Erklärungen zu den Kunstwerken zu liefern, fungiert es als Mediaplayer, der es den Besuchern ermöglicht, zuzuhören und etwas zu empfinden; es kann sie in eine Stimmung versetzen, die unterschiedliche Perspektiven für eine engagierte Beschäftigung mit der Kunst auf der dOCUMENTA (13) eröffnet. Eine wichtige Rolle werden Gespräche mit einigen an der Ausstellung beteiligten Künstlern spielen, die während der Vorbereitungstreffen aufgezeichnet wurden. Ein anderes Feature wird in Zusammenarbeit mit ausgewählten Künstlern entwickelt; diese werden die Nutzer in einer aufgezeichneten Audiotour durch einen kleinen Bereich der Ausstellung begleiten, sodass man sie mit ihren Augen sehen kann. (…)“.
dMAPS wird von Nicola Setari konzipiert und von Leftloft gestaltet. Die Software wird auf iPhone, Android und eventuell weiteren Plattformen laufen. Ein kostenloser Download soll bei Beginn der Ausstellung zur Verfügung stehen (derzeit aber noch nicht verfügbar, Stand 25.0512). Zusätzlich sollen ausleihbare Mobilgeräte mit der vorinstallierten Anwendung erhältlich sein.
Die Eroberung der Allgegenwärtigkeit
Dankbar bin ich der dOCUMENTA für den Hinweis auf den französischen Lyriker und Philosophen Paul Valéry, der sich in seinem berühmten Essay über „Die Eroberung der Allgegenwärtigkeit“ („La Conquête de l’ubiquité“) bereits 1928 fragte, „ob je ein Philosoph in seinen Träumen sich eine Gesellschaft zur Lieferung sinnlich erfahrbarer Wirklichkeit frei Haus ausgedacht hat“.  Valéry sinnierte darüber, wie die neuen Medien seiner Zeit das Kunsterlebnis des Publikums veränderten. Die dOCUMENTA hat auch dazu eine Meinung: „(…) Heute wird die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit in unsere Taschen geliefert; eine Entwicklung, die immer raffiniertere körperlose Erfahrungen und Formen von Distanziertheit mit sich bringt. Paradoxerweise kann der mobile und persönliche Einsatz neuer Technologien jedoch dazu dienen, die Distanz zum Ursprungsort einer Nachricht zu überbrücken und vor Ort zu einem Werkzeug werden, um ihre Bedeutung zu entschlüsseln und sie sich anzueignen. (…)“ Vor diesem Hintergrund sind wir gespannt, wie es der dOCUMENTA gelingen wird dem Publium über den digitalen Raum alternative Umgangs- und Zugangsformen zur Kunst zu eröffnen und diese mitten in die Tasche zu legen. Eine wirklich narrative und crossmediale Struktur vermag ich im Moment noch nicht zu erkennen, – ich bin aber gespannt was noch kommt.
Weitere Informationen:

4 comments

  1. Hallo, klasse Informationen, danke! Passend dazu der Hinweis auf das Twittertreffen in Kassel „Twocumenta“ am 15-16.Juni: http://twtvite.com/twocumenta

  2. Nachtrag (07.06.12): die App zur dOCUMENTA ist pünktlich erschienen und kann hier bezogen werden: http://www.documenta.sparkasse.de/dMAPS

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