Die Biennale in Venedig ist immer wieder ein großes Erlebnis. Auch dieses Jahr habe ich mich gen Süden aufgemacht und bin einige Tage durch Gardini, Arsenale, „Palazzo Enciclopedico“ und die vielen extern gelegenen Stationen der Ausstellung gelaufen.
„Il Palazzo Enciclopedico del Mondo“
In den 50er Jahren reifte in dem italo-amerikanischen Autodidakten Marino Auriti (1891-1980) die utopische Vision, einen Aufbewahrungsort, ein Museum, für das Wissen und die größten Errungenschaften der Menschheit zu bauen. Im Resultat plante er ein ca. 700 Meter hohes Haus, das mit seinen 136 Stockwerken das seinerzeit größte Gebäude der Welt, das Empire State Buildíng, um 34 Stockwerke überragt hätte. Der für Washington D.C. erdachte Plan wurde nie realisiert, lieferte dem Kurator der Biennale, Massimiliano Gioni, aber Idee und Ansatz für „seine“ Ausstellung: die vermeintliche Unmöglichkeit einer Darstellung der Vielfalt und inhärenten Konflikte des globalen (autodidaktischen und professionellen) Kunstschaffens. Das im Maßstab 1:200 in drei Jahren von Auriti erbaute (und patentrechtlich sogar auf ihn eingetragene) Modell erinnert an Architekturen von Bruegel oder Tatlin und wurde extra für die Biennale nach Venedig transportiert.
88 Länder sind es geworden bzw. Arbeiten von 154 Künstlern (davon 40 bereits verstorben), die den Versuch einer „Enzyklopädie der Kunst“ aus der Perspektive des Jahres 2013 versuchen. Die Werke, Installationen und Handlungsschauplätze des Spektakels sind über etliche Ausstellungsorte in der Lagunenstadt verteilt und es kostet Tage, diese halbwegs zu erlaufen. Orientierung tut also Not. Sowohl zeitlich, als auch geografisch. Vom zu bewältigenden Informations- und Faktenwust ganz zu schweigen. Eigentlich die Stunde hilfreicher Tools, die Orientierung und Service bieten könnten. Die Stunde der Apps?
Digitale Vorbereitung der Ausstellung
Die Vorbereitung auf die Ausstellung funktioniert leidlich über die italienische und englische Website und wird von einer regelmäßig bespielten Facebook-Seite und einem YouTube-Channel sowie Flickr und Twitter flankiert. Dieses digitale Bündel steht den Ansätzen der Biennale aus dem Jahr 2011 kaum nach, – verbessert aber auch nichts wirklich.
Vier Apps zur Auswahl
Für den Besuch hatte ich mir (als iPhone und iPad-User) vier unterschiedliche Apps und einen Reiseführer installiert. Auf der Website der Biennale wird keine dezidierte Anwendung empfohlen und so habe ich frei nach Eindruck und Empfehlungen im AppStore gewählt:
1. My Biennale Guide Venice Art Biennale 2013
Die englischsprachige App von Lightbox Publishing (die auch eine App für die ART Basel 2013 publiziert haben) startet mit einem pinken Screen und führt, sobald man verstanden hat, dass man auf dem Startscreen nicht klicken kann, auf ein zentrales Dashboard, das alle Rubriken der App verlinkt: Agenda (personalisierbar zu „My Agenda“), Highlights, Info-Einheiten über die Nationenpavillons, flankierende Ausstellungen und Veranstaltungen sowie ergänzende (kommerzielle) Angeboten in Venedig (Hotels, Shops, Restaurants). Detailinfos zu den Pavillons erscheinen mit Namen der Kuratoren und Künstler, Öffnungszeiten, Abbildungen und Text bzw. ggf. sogar Link auf eine flankierende Website. Deutlich spürbar in der App ist die Erfahrung der Hersteller bei der Bewältigung komplexer Informationsarchitekturen (auch wenn manches im Handling noch optimiert werden könnte). Hilfreich die präzise Markierung der Veranstaltungsorte in einem scrollbaren (aber zuweilen unpräzisen) Stadtplan mit Info über die nächstgelegene Vaporettohaltestelle („Transport“). Gerade bei extern gelegenen Pavillons ist diese Orientierungshilfe besonders willkommen. Für mich eine brauchbare, aber verbesserbare, App zur Biennale (*** 3 von 5 Sternen)
Download: https://itunes.apple.com/de/app/my-biennale-guide-venice-art/id629089032?mt=8 (die App ist in einer kostenlosen Version und einer PRO-Version für den Offline-Betrieb zu beziehen).
2. The Venice Biennale / Ideological Guide 2013
Der kostenlose „Ideological Guide to the Venice Biennale“ vom niederländischen Künstler Jonas Staal ist eine kostenlose App für iPhone und Android, – und eher ein Kunstprojekt als ein digitales Tool. In einem Einführungstext schreiben die Macher: „(…) the smartphone app offers information about each participating country’s 2013 pavilion, from its commissioner and curator to the sources of its funding, while also providing historical information about past pavilions, and charting that nation’s economic and political alliances with other participating countries. The app, according to its creators, shows that the Venice Biennale’s distribution of national pavilions around the city is in many ways a more accurate reflection of nations’ geopolitical position than any geographical map (…)“. Die App ist sicher kein Orientierungs- oder Serviceinstrument zur Biennale, bietet aber manch spannende Einsicht in Hintergründe und Zusammenhänge von Kunst und Geopolitik. Gestalterisch finde ich die Umsetzung mit weisser Schrift auf hellblauem Hintergrund gewöhnungsbedürftig bis schwierig. Ich würde die App daher aus dem Ranking der Biennale-Applikationen herausnehmen, – als Statement ist sie aber interessant und bedeutet eine andere Sicht auf den Nationendiskurs. In der Betrachtung des deutschen (französischen) Pavillons kommen die Macher dann zur schönen Sicht des „Curatorial Couch Surfing“, – mit dem Appell künftig eben nicht mit kalkulierbarem Risiko (wie 2013 mit Frankreich) zu tauschen, sondern die Schlüssel von GERMANIA beim nächsten Mal an den Kosovo oder Pakistan zu übergeben.
Download: https://itunes.apple.com/app/venice-biennial-ideological/id648596687?ls=1&mt=8
3. aArtadoo – Venice Biennale 2013
Die kostenlose (für iphone und iPad erhältliche) englische App „speciale arte: Biennale die Venezia“ des Onlineportals artadoo zeigt in erfrischend komprimierter Informationsdichte die Nationenpavillons, „collateral events“ (was externe Spiel- und Standorte der Ausstellung und nicht etwa einen Veranstaltungskalender bedeutet), Indices der teilnehmenden Künstler und Kunstwerke (ohne A-Z Listing, d.h. man muss schon wissen, was man sucht) und ein interaktives bzw. partizipatives Element, – die „most voted (Infos)“. Grundsätzlich eine schöne Idee, dieses „Gefällt mir“ bzw. „Gefällt mir nicht“ Ranking für alle Informationen, – allerdings ist das Ergebnis nicht an ein externe Socialmediaplattform gekoppelt, nicht wirklich nachvollziehbar und bringt gerade Spitzenwerte für Araba Siriana Repubblica oder Andorra (?). Die App beinhaltet vertiefende Informationen zu den Pavillons und Ausstellungen (ohne Bilder), benennt Kuratoren und Künstler (die ebenfalls bewertet werden können), sowie eine grobe Überblickskarte für Venedig mit vagen Markierungen zu Ausstellungsorten. In der Bewertung würde ich dieser App gute Ansätze zugestehen und finde vor allem die Ausdünnung im Content hilfreich. Reduktion auf das Wesentliche (und ein Verständnis für die wirklichen Fragen und Wünsche der Nutzer einer solchen Applikation) dürfte generell ein gesunder Ansatz bei der Umsetzung von digitalen Instrumenten für derart umfangreiche Ausstellungen sein. Eine App wird niemals der Ersatz für einen Katalog sein, im Idealfall aber eine sinnvolle Ergänzung, insbesondere unter den Aspekten „Realtime“ und „Live vor Ort“.
Bewertung: (*** 2-3 von 5 Sternen) mit Potential für deutlich mehr
Download: https://itunes.apple.com/nl/app/artadoo-venice-biennale-2013/id649959737?mt=8
4. Artguide. Venice Biennale 2013
Das kommt davon, wenn man Apps in Serie produziert und diese nicht sauber lokalisiert: der User wähnt sich in Venedig und kriegt vom Hersteller Artguide zunächst den Stadtplan von Moskau gezeigt. Schade dann, dass gerade diese App die beste Karte hat und über Google Maps auch Geolokalisierung bzw. Routing vom eigenen Standort an den jeweiligen Zielpunkt ermöglicht. Die Infos zu den Pavillons sind in dieser Anwendung eher dünn, bieten aber Verknüpfungen zu den relevanten Veranstaltungsterminen sowie breite Kommentarfunktionen (vom geschriebenen Text über das Foto bis zum Social Sharing in bekannte Plattformen hinein). Auch bei dieser App wäre mit deutlich mehr Sorgfalt viel mehr möglich gewesen.
Bewertung: (* 1 von 5 Sternen) mit Potential für mehr
Download: https://itunes.apple.com/app/artguide.-venice-biennale/id652469037?mt=8
Fazit
Allein die Vielzahl der angebotenen Apps zur Biennale bedeutet einen kleinen Fortschritt, denn 2011 waren noch weniger Anwendungen verfügbar. Von der Biennale selbst wird auch 2013 keine Empfehlung ausgesprochen (oder gar ein eigenes Produkt realisiert) und so ist man als User zunächst auf die Auszeichnungen und Kommentare im entsprechenden Store angewiesen. Die Anbieter der Apps haben im Vergleich zu 2011 gewechselt und es ist leider keiner mehr dabei, der auf Erfahrungen aus den Vorjahren aufbauen oder profitieren wollte. Jeder fängt irgendwie immer wieder von Vorne an oder biegt eine gerne in einem anderen Zusammenhang entwickelte Anwendung in die gerade notwendige Richtung. Das muss nicht zwangsläufig falsch sein, benötigt aber wohl professionelle Redaktion bzw. Qualitätssicherung, die nur schwer nicht von den Veranstaltern oder Institutionen selbst geleistet oder wenigstens kontrolliert werden kann. Aber da, nach El Lissitzky, „jede Form das erstarrte Momentbild eines Prozesses ist“, hoffe ich auf eine fortgesetzte Bewegung, die in absehbarer Zukunft dann auch wirklich nutzbare und zu Ende entwickelte Formen hervorbringt.
Der unmittelbare Test der Anwendungen vor Ort hat mich eigentlich nur von der herausragenden Wertigkeit des guten, alten Papiers überzeugt, – sei es als Stadtplan, Katalog oder klassischer Reiseführer. Die Apps taugen nur mühsam zur Orientierung und Navigation, kosten Akkulaufzeit oder Roaminggebühren und werden niemals nicht von den Produzenten als wertige Informationseinheiten für eine zunehmend digitalisierte Gesellschaft begriffen. Eher hat man den Eindruck, das ein diffuser Markt mit Produkten beschossen wird, die entweder nur einen Markennamen transportieren sollen oder aufrund minimaler Kosten nur selten zu Regressansprüchen durch enttäuschte User führen.
Die Biennale selbst bot nur wenige kostenlose WIFI-Zonen, – und das, obwohl viele Länderpavillons ihre Ausstellungen mit digitalen Angeboten (auch via QR-Code vor Ort) flankieren (als Website zum Pavillon: Bsp. „Deutscher Pavillon 2013„) oder sogar eigene Apps zur Ausstellung offerieren (Bsp.: „Unexploded“ von Zsolt Asztalos im Pavillon Ungarns). Die derzeit verfügbaren Biennale-Apps kommen vielfach von externen Unternehmen oder als isolierte (Kunst-) Projekte, aber nicht aus einer überzeugenden Serviceperspektive eines Veranstalters. Das war bei der letzten Biennale so und auch bei der letzten documenta. Es ist noch ein gutes Stück Weg. #Neuland eben.
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