Beinahe die Hälfte des Mai ist vorüber. Drei zentrale Veranstaltungen haben mir eine Vielzahl von Impulsen vermittelt und einen lebendigen Eindruck des aktuellen Status Quo der digitalen Kultur in Deutschland geliefert: „Theater und Netz“ und „re publica“ in Berlin sowie das „stARTcamp 2014“ in München.
Die Inseln der Glückseligkeit, die Bekassine und Sascha Lobo
Einige von Euch sind mit mir vor allem durch die Berliner Tage der Inspiration geschwommen, an Leuchttürmen des Netzes vorbei und haben BigData, Open Source, Dystopien, Trolle, Ponyhof, Kraut&Rüben passiert, die Yes Men und, kaum zu glauben, David Hasselhoff vorbeitreiben sehen. Irgendwo in der Ferne die Inseln der Glückseligkeit mit den süßen Verheißungen von Freiheit, Demokratie, Transparenz und Partizipation. Und viele von Euch sind dann auch mit mir vor einer„Bekassine“ gestrandet: einem geschützten Wildvogel, einer Schnepfe, Vogel des Jahres 2013. Charakteristisch ist, so steht es bei Wikipedia, „der Balzflug, bei dem sich der Vogel aus großer Höhe senkrecht herabfallen lässt und mit der abgespreizten, äußeren Steuerfeder ein „wummerndes“ Geräusch erzeugt“. Genau wie Sascha Lobo.
Sascha Lobo hat die Netzgemeinde sicher nicht zu Unrecht gescholten. Er hat einen massiven Defekt im Netz markiert, den allgemeinen Phlegmatismus (oder die so populäre Prokrastination?) angeprangert und die mangelnde Bereitschaft zur (auch finanziellen) Unterstützung wesentlicher Aktionen im Netz gewütet: das Internet sei uns nichts wert und die Lobbyarbeit eine Katastrophe (und eben beim Vogelschutz in Bayern wesentlich besser). Ich denke, dass Lobo da recht hat: wir müssen aktiver werden und wir müssen relevanter werden. Es reicht nicht, sich darauf zurückzuziehen, dass die Materie komplex ist. Und wer das Netz nur den Unternehmen und Geheimdiensten überlässt muss sich nicht wundern, wenn die dort auch machen was sie wollen. Auch in der Kultur sind wir im digitalen Deutschland noch lange nicht dort, wo man hätte sein können. Der Blick ins Ausland ist noch immer schmerzhaft und markiert sehr deutlich die Defizite und Problemlagen in Neuland.
„Digitales Weiter Denken“
haben die Kulturkonsorten als Motto über das Münchner stARTcamp geschrieben, – und damit einen Wunsch formuliert: die meisten von uns sind, egal ob Privatperson oder Repräsentant bzw. Akteur einer Institution, schon eine Weile im Digitalen angekommen und haben dort bereits eine Wegstrecke absolviert. Die einen aktiv, konstruktiv und evaluierend, die anderen vorsichtig beobachtend und reflektierend, ganz andere negierend, oder womöglich schon frustriert, – und dann gibt’s auch noch die, die bei der ganzen digitalen Angelegenheit zur Flucht raten, Menschen zu Idioten erklären oder in der FAZ publizieren. Das Digitale ist aber, für eine unfassbar große Mehrheit, sogar der deutschen Bevölkerung, im Alltag angekommen. Eine vielfach selbstverständlich gelebte Attitüde des Daseins: YouTube, Blogs, Podcasts, Facebook, Twitter, Instagram und so weiter fort.
„Evidence“
Und diese Attitüde wächst als ein zunehmend deutlicher wahrnehmbares Attribut auch in die Kultur hinein. Auf dem nebenstehenden Foto sehen wir Handwerkszeug eines Künstlers im 21.Jahrhundert: Exponate im Martin-Gropius-Bau aus der sehenswerten aktuellen Ausstellung von Ai Weiwei. Die Installation zeigt das von den chinesischen Behörden beschlagnahmte Atelierequipment des Künstlers. Arbeitsgeräte eines Künstlers, der sein Denken, Tun und Werk längst auch massiv in den digitalen Raum ausgedehnt hat, – auch das eine „Evidence“ für die Relevanz des Digitalen in der Kultur.
Das Publikum wird digital
Aber nicht nur die Künstler, auch das Publikum agiert zunehmend deutlicher im Digitalen. 2/3 aller Museumsbesucher haben ein Smartphone dabei, wenn sie ein solches Haus besuchen und sind auch, Ge- und Verbote hin oder her, gewillt es zu benutzen. Zumindest im Ausland gibt es immer mehr Einrichtungen, die jenseits einer scheinbar unlösbaren Urheberrechtsdiskussion auch bereit sind, dem Besucher über diese Devices einen klugen Platz im eigenen Informations- und Kommunikationsorganismus zu ermöglichen. Und gelegentlich stürmt die Netzgesellschaft auch ungefragt und im internationalen Kollektiv die kulturellen Hochburgen in ganz Europa und teilt die eigene Leidenschaft als Liveerlebnis über das große Digitale in die ganze Welt: die „invasioni digitali“, – von Selinunt auf Sizilien bis nach Kopenhagen in Dänemark.
Mehr Leidenschaft und Mut zum Experiment
Ich wünsche mir hier in Deutschland mehr Leichtigkeit, mehr Leidenschaft und Mut zum Experiment. Wir sind Zeitgenossen eines großen Lernens und der Weg ist mit Baustellen gepflastert. Es geht schon lange nicht mehr um eine Utopie, sondern um eine konkrete Umsetzung. Der „Neue Mensch“ des 21.Jahrhundert wehrt sich gegen Instrumentalisierung, Angriffe und Mißbrauch digitaler Lebensräume. Unsere Kathedrale der Zukunft besteht zu einem guten Teil auch aus Programmiercode, Skripten, Pixeln, Video- und Audiofiles. Wir werden den Zugang aber nur finden, wenn wir auch ein wenig Strecke machen. Aus der Phase des Grübelns sind wir raus. Es geht jetzt um die Umsetzung. Die Kultureinrichtungen müssen aktive Gestalter werden. Bei vielen Sessions der o.g. Konferenzen ging es dann auch nicht mehr um Plattformen oder Tools, sondern um echte Inhalte bzw. Strategien und wie man mit ihnen arbeiten kann. Es wäre grundfalsch (wie zuweilen bei „Theater und Netz“ gehört) wenn man die Verantwortung und Umsetzungen des neuen Denkens und Handelns an eine vermeintlich nachwachsende Generation (gerne: „digital natives“) delegieren wollte. Wir stehen JETZT und SELBST in der Verantwortung. Gerade in der Kultur: Kunst wird zu Wissen, wenn man es teilt.
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Mit Mut und Leichtigkeit experimentieren. Gemeinsam ausprobieren, wie eine von uns gewollte Zukunft gehen kann. Verantwortung übernehmen. Ich denke auch, dass Kulturveranstalter hier einen
Beitrag leisten können, indem sie Räume schaffen, die dem puren Pragmatismus entgegenwirken und Möglichkeit bieten mit kreativen Denk- und Arbeitslaboratorien neue Lebensweisen zu entwickeln.
Danke für den schönen Blogbeitrag!