Folgen wir der Prognose, so werden im Jahr 2020 zwischen 50 und 100 Billionen eindeutig identifizierbare physische Objekte mit dem Internet verbunden sein. Das Internet besteht also nicht nur aus menschlichen Teilnehmern (und den von Ihnen bereitgestellten Informationen), sondern auch aus Dingen. Für diese Feststellung hat sich der Begriff „Internet of Things“ etabliert, der 1999 von dem englischen Technologie-Pionier Kevin Ashton eingeführt wurde. „Das Internet der Dinge steht für eine Vision, in der das Internet in die reale Welt hinein verlängert wird und viele Alltagsgegenstände ein Teil des Internets werden. Dinge können dadurch mit Information versehen werden oder als physische Zugangspunkte zu Internetservices dienen, womit sich weitreichende und bis dato ungeahnte Möglichkeiten auftun“ (zitiert nach: Friedemann Mattern, Christian Flörkemeier, Vom Internet der Computer zum Internet der Dinge). Aus der „Vision“ und den „ungeahnten Möglichkeiten“ ist längst Realität geworden. Diese wird dann immer wieder mal von euphorischen bis pessimistischen Prognosen gekontert, die den enormen Anstieg des Internettraffics zu markieren versuchen (á la: „Ende des Jahres 2011 generieren gerade einmal 20 typische Haushalte mehr Internet-Traffic, als das gesamt Web des Jahres 2008„).
Die Meta-Ebene: mehr Daten, mehr Information, mehr Wissen
Ziel aller Technologien und Visionen war und ist es, den Gegenständen eine Meta-Ebene hinzuzufügen, die immer auch ein „mehr“ ermöglicht: mehr Daten, mehr Information, mehr Wissen, – mehr Ordnung, mehr Interaktion, mehr Inspiration.
Auch in der Kultur lassen sich solche Tendenzen und Projekte markieren. Im Kern geht es dabei um eine tiefergehende Kontextualisierung, etwa die individuelle Geschichte (Provenienz) eines Objekts, den historischen Kontext oder eine wissenschaftliche Einordnung.
Bookcrossing.com
Eine der bekanntesten Plattformen, die diese Idee bereits seit vielen Jahren für sich nutzt, ist Bookcrossing.com. Dabei handelt es sich um eine Art Community für Bücherwürmer und Leseratten, die ihre Schmöker registrieren, teilen und verfolgen können. Über eine eindeutige Kennzeichnung des Buches via Buch-ID kann das Buch nicht nur markiert und weltweit verfolgt, sondern auch mit einer eigenen Geschichte verknüpft werden. Wenn die Bücher dann von nächsten Finder identifiziert werden, kann dieser die vom Vorbesitzer hinterlegte “Historie” des Buchs nachlesen und „anreichern“. Im Webportal bookcrossing.com können flankierend die Geschichten der gerade „freigelassenen“ oder „gefangenen“ Bücher verfolgt werden.
Tales of Things
Im April 2010 startete die als „next web revolution“ angekündigte englische Plattform „Tales of Things„, die Gegenstände des täglichen Lebens (vom MP3-Player über das Weinglas bis zum Auto) mittels eines am Objekt angebrachten QR-Codes mit einer Geschichte verbindet. Das Prinzip des Projekts war denkbar einfach: Der Code wird mithilfe der Kamera eines Smartphones gescannt und führt dann zu einer Webseite, auf der der jeweilige Besitzer eines Objekts weitere Informationen (Texte, Bilder, Videos) über das „Ding“ zur Verfügung stellt.
Die Plattform „Tales of Things“ war Teil des akademischen Forschungsprojekts „TOTeM: Tales of Things and Electronic Memory“, wurde vom Research Councils UKs Digital Economy programme gefördert und vereinte fünf namhafte englische Universitäten: Edinburgh College of Art, University College London, Brunel University, The University of Salford und The University of Dundee.
Die Initiative wurde in den Medien breit diskutiert und nicht nur der britische Journalist Victor Keegan fragte bereits kurz nach dem Launch im Guardian ob „Barcodes ohne Grenzen“ womöglich „web’s next big thing“ wären. Neun Monate sind seit dem Launch vergangen. Heute signalisiert die Website zwar noch immer eine „beta“-Version des Projekts, bringt auf 187 Seiten aber doch ca. 1.700 Objekte, für die Kommentare und „Tales“ hinterlegt wurden. Auch wenn die Objekte offensichtlich aus weiten Teilen der Welt kommen, so scheint ein Großteil der verknüpften Geschichten bislang eher hilflos. Auch die Facebookseite zeigt gerade mal 112 Freunde (Stand: Januar 2012), pflegt aber offenbar auch keinen wirklich aktiven Dialog mit dem Publikum und wird nur unregelmäßig bespielt. Einen (kostenpflichtigen) Bericht zum aktuellen Stand des Projekts gibt es übrigens auf der ACM Digital Library.
Spannender wird der Kontext der „Tales of Things“ wenn man sich Teilbereiche der Seite, eine „Group“, einmal genauer betrachtet:
National Museums of Scotland
Eine eigene Group innerhalb der „Tales of Things“ wird vom National Museums of Scotland geführt. Diese haben im eigenen Sammlungsbestand ca. 80 Objekte (Stand: Januar 2012) mit QR-Codes versehen und die Besucher aktiv dazu aufgefordert, korrespondierend zu den Objekten die „Tales of a Changing Nation“ zu erzählen:
„Around 80 objects in the Scotland: A Changing Nation gallery have been ‘tagged’ with QR codes. If you have a smartphone (…) you can scan these codes to uncover a treasure trove of hidden information about the exhibits.“ Wohl auch um den Einstieg zu erleichtern offerieren die Museen zu jedem Objekt nicht nur direkte Schnittstellen zum Scottish Screen Archive und der E-Learning-Umgebung bzw. Bilddatenbank von SCRAN, sondern auch bereits eine Geschichte, die sehr schön die grundsätzliche Methodik vor Augen führt (als Beispiel: „Highland bagpipes“ und die Geschichte von Sergeant-Piper).
Die Kuratoren erhoffen sich von der Initiative eine weitere Öffnung der breiten Sammlung der NMS und eine vertiefte Sozialgeschichte der einzelnen Objekte: „This project is a great example of how museums can not only give visitors more information about objects and stories, but also involve our visitors in adding their own responses to the objects, whether personal reflections or additional resources to let others find out even more“ (zit. Alison Taubman, principal curator of communications an den NMS).
Ich habe im Titel dieses Posts den Schweizer Architekturhistoriker Siegfried Giedion (S. Giedion: Die Herrschaft der Modernisierung (1948). Frankfurt am Main 1987, S. 19) zitiert, der mit seiner Metapher„Im Kaffeelöffel spiegelt sich die Sonne“ poetisch auf die Bedeutung von Alltagsdingen verwies. Diese Metapher erlaubt nicht nur aus Einzelheiten des Alltags auf den Grundzüge eines Kulturzustands zu schließen, sondern bietet auch eine schöne Denkfigur. Sie macht deutlich, dass es zuweilen erst der Kaffelöffel ist, der die Erkundung der Sonne befördert und ihr womöglich sogar erst den Glanz verleiht. Dies vielleicht nur einmal so als Weggabe beim Nachdenken über das „Internet of Things“, die neuen „Alltagsdinge“ und die Möglichkeiten ihrer Geschichten.
Danke für den schönen Beitrag. Ein aktueller Blick auf „Pinterest“ passt irgendwie dazu: „Rekord-Wachstum der digitalen Pinnwand Pinterest“ (auf: http://stueber.welt.de/2012/01/15/rekord-wachstum-der-digitalen-pinnwand-pinterest/)