„Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom?“ hat der große Joseph Weizenbaum einmal gefragt. Auch wenn der Ansatz des Computerpioniers ein deutlich kritischer war, so habe ich in den zurückliegenden drei Tagen ganz sicher eine positive Antwort (und eine solche Insel) gefunden. Und ich bin mir sicher der Gesellschaftskritker Weizenbaum hätte auf der re:publica auch seinen Spaß gehabt und ein paar Bäume gepflanzt.
Drei Tage lang hatte die re:publica „ACT!ON“ gefordert und Futuristen, Netzaktivisten, Gesellschaftsdenker, IT-Entwickler, Wissenschaftler, Journalisten, Politiker, Piraten, Astronauten, Blogger und viele andere zu gemeinsamen Gesprächen gefordert. 270 Sessions im Themenfeld von Acta und Anonymous bis zum Urheberrecht und ZDF, irgendwas um 3.000 Teilnehmer, ein Riesenstappel bunter Stühle, ein „Affenfelsen“, ein getwitterter Dauerbeschuß (mit analog tapezierter Twitterwall) und eine coole Location definierten den Rahmen auf dem und in dem man sich bewegen konnte. „Seid nett zueinander und mischt Euch ein“ hatten die Veranstalter das Publikum begrüsst, – und so war es dann auch.
Ich will (und kann) in meinem Post kein vollständiges Resuméder Veranstaltung bieten. Fast 1.000 Artikel in den Medien und ca. 10.000 Posts geben einen Eindruck der inspirierenden Vielfalt, die sich hier zur Diskussion stellte:
Einige Beobachtungen der republica 2012 will ich aber kommentieren:
Neue Narrative und das Jahr der Blogs
Sascha Lobo analysierte den „Stand des Internet 2012“. Seine Rüge vom letzten Jahr „Ihr seid zu doof oder zu leise, um in der Gesellschaft irgendeine Rolle zu spielen
Theater 2.0
In Ihrem Vortrag zeigte Tina Lorenz einige Beispiele, wie erste Theater mit dem Mitmachnetz agieren und verwies auf die vermeintlich gescheiterten Versuche im Thalia-Theater Hamburg, erste Guy-Fawkes-Masken (das sind die vermeintlichen Anonymusmasken) bei Inszenierungen, das von Jung von Matt designte Projekt Effi-Briest 2.0 im Gorki und das „Tam-Tam“ im Münchner Residenztheater. Mein Eindruck: Theater müssen (wie Museen) kein Socialmedia machen, sie sind Socialmedia. Sie sind soziale Orte und leisten als solche bereits ihren Teil zur Identität der Stadt (dazu ein guter Post von Gudrun Pawelke auf dem Blog „Theatertreffen„). Über den digitalen Raum kann das Theater den Dialog mit dem Publikum ausweiten und sich dem „Gefängnis“ des Feuilletons (so ein Kommentar auf der republica) entziehen: „Raus aus dem Feuilleton, rein in die Twitter-Timeline“ heisst das bei Ulrike Schmidt). Zudem lassen sich vertiefende Erzählstrukturen abbilden und Aspekte des Crossmedia-Storytelling umsetzen, – wie sie Caspar Lösche bspweise für das Stadttheater Bern realisiert hat. Dazu müssten die Institutionen aber verstehen, das Socialmedia aus der Mitte entsteht (nicht nur Presse und Marketing), Aufwand verursacht (und nicht mit der Zweit- und Drittverwendung eines Veranstaltungshinweises auf Facebook erledigt ist) und vom ganzen Haus getragen werden muss. Wer hier nur Follower und Freunde zählt oder fragt, wieviele Besucher denn nun über einen Post ins Theater kommen, hat diese neue Kulturtechnik noch nicht verstanden. Hier gibt es sicher noch viel Platz für spannende Ideen.
#tweetscapes
Die Republica hat eine Menge Tweets hervorgebracht und im digitalen Raum quasi eine weitere Metaebene der Diskussionen und Kommentare entfaltet. Über das Projekt #tweetscapes konnte man das eindrucksvoll Hören und Sehen. Das Gemeinschaftsprojekt von Künstlern und Wissenschaftlern wandelt über einen Prozess der „Sonifikation“ deutsche Twitternachrichten (wahlweise wohl auch über weitere Spezifikationen wie Geolokalisierung oder Hashtag) in Klänge und Bilder um – live und in Echtzeit. Tatsächlich wird die Entwicklung von Gesprächsthemen und der Rhythmus des Online-Dialoges visuell und aktuistisch erfahrbar. Dabei entstehen nicht nur schöne Klänge und Bilder, sondern wohl auch Markierungen über Trending Topics. So werden über das Hören Rückschlüsse auf die zugrundeliegenden Daten möglich, die über den konkreten Inhalt einzelner Tweets hinausgehen und kommunikative Zusammenhänge aufzeigen: Das erste Aufflammen einer Nachricht, die schnelle Verbreitung ihrer Echos und Wiederholungen, der “Grundsound” eines von einem bestimmten Thema geprägten Tages – all diese Aspekte werden intuitiv begreifbar. Twitter wird Ambience, der User wird Teil des Datenstromes.
Twittern aus dem Weltraum und dem Kanzleramt
Wie man den Dialog über die sozialen Medien mustergültig ausweiten kann, haben auf der republica die „twitternden Astronauten“ gezeigt. Paolo Nespoli (auf Twitter @astro_paolo) demonstrierte auf sehr sympathische Weise, wie Wissenschaft den erweiterten Kontakt mit dem Publikum suchen und finden kann. Die Space-Tweetups der DLR haben längst neue Formen der Raumfahrt-Kommunikation eröffnet und ein breites Publikum gezogen. Defacto habe ich aus der republica den Eindruck mitgenommen, dass es einfacher ist von „kurz vor dem Mond“ oder aus dem Kanzleramt (@Regsprech) zu twittern, als aus einem deutschen Museum.
Museum 2.0 auf der republica
Relativ kurz gefasst: gab es nicht. Auch wenn wir hier gesellschaftliche Prozesse analysieren, Fluxus als Urform des Netzwerks enttarnen (mit Leo Findeisen) oder über neue Kulturtechniken sprechen, so scheinen wesentliche Achsen unserer Kultur zumindest an diesem Forum nicht interessiert. Eigentlich nicht einzusehen, da man befürchten könnte, dass die Museen der Zukunft sonst irgendwann nur noch „Wiki…“ heissen und digital zu besuchen sind. Zumindest aber am wissenschaftlichen Elfenbeiturm wurde auf diversen Sessions gerüttelt und Aspekte der Partizipation in Forschung und Lehre diskutiert.
Kultur als Prozess
Ja, – Gesellschaft und Kultur haben es nicht leicht mit dem Internet. Das liegt vor allem daran, dass es offenbar schwerfällt, über dieses Phänomen adäquat zu reden und es den vielen, womöglich durch die falschen Narrative geblendeten oder willentlich blinden „Netznichtnutzern“ (Lobosprech) zu erklären. Das Versagen liegt daher wohl nicht so sehr bei den Experten, sondern markiert ein eher gesellschaftliches und kulturelles Problem. Leichter scheint eine Unterhaltung im Blick auf Krisenländer wie China, Iran oder Russland, wo zumindest die Oppositionellen eine klare Funktion der digitalen Maschinerie definieren können. Sympthomatisch dann der (sehr anregende) Abschlußvortrag von Kathrin Passig , die „Fehlprognosen in Sachen Technologie-Entwicklung“ markierte und mit der Frage verknüpfte, was man daraus lernen sollte. Im Resultat und im Blick auf die Farben der Kultur im neuen digitalen Raum zitiere ich dann gerne Dirk von Gehlen, dessen „Lob der Kopie“ immer einen klugen Gedanken trägt: „versteht Kultur nicht als Produkt, sonern als Prozess, – womöglich sogar als Software„.
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Vielen Dank für diesen guten Bericht, der die Möglichkeit bietet, informiert zu bleiben, ohne in (nicht immer angenehme) Details zu gehen. Ich glaube, dass einmal mehr das Internet in seiner ersten Phase das zutage fördert, was die analoge Papierkultur hinterlassen hat. Es ist ein Raum, in dem Monologe geführt werden oder spasmodisch Kurzmitteilungen ausgetauscht werden und nicht wirklich entspannt geredet und auch nicht inhaltlich kommuniziert wird. Dass diese mangelnde Dialogfähigkeit in der Gesellschaft im analogen Raum nicht aufgefallen ist, mag an der gegebenen Physis liegen, die über die Abwesenheit sprachlichen Austausches hinweggetäuscht hat, im virtuellen Raum fällt sie dagegen schmerzhaft auf. Es bleibt zu hoffen, dass die neu entstandenen sozialen Medien diese Hürde (mit der wohl keiner ihrer Erfinder gerechnet hat) nehmen werden. 🙂