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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

Die Kunst zu twittern ist wie Architektur zu tanzen.

Die Kunst zu twittern ist wie Architektur zu tanzen.

Was jetzt.
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Hilflosigkeit und Historie
In einem viel diskutierten Artikel über die Probleme der deutschen Museen mit den sozialen Medien (in Fortsetzung hier) diskutiert Anika Meier die „Hilflosigkeit“ der Institutionen in Bewertung und Umgang mit Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram. Dabei markiert sie die fehlenden finanziellen Mittel, die Überlastung der internen Ressourcen, falsche Kampagnen und einen vermeintlich verstellten Blick auf den status quo des Internets. Die Diskussion über richtige oder falsche Blickrichtungen bzw. Plattformen will ich hier gar nicht in extenso führen (auch nicht die Diskussion über „zuviel Flausch“, Augenhöhen oder fehlende Dramatik unter Bloggern) – wohl aber die Formulierung des „Arbeitens mit historischen Instrumenten“ in Frage stellen. Ich habe Anika so verstanden, dass Twitter und das Format der Tweetups (wie auch die Blogparaden) als überholt bewertet werden müssen und nicht mehr zeitgemäß, zielgruppenorientiert und wirkungsvoll erscheinen.

Schieflage
Tatsächlich ist das Format der klassischen Tweetups in die Jahre gekommen. Zugleich ist es aber nach Jahren unendlich langsamer Akzeptanz gerade auch erst in einigen Institutionen angekommen oder hat sich in einzelnen Häusern (Haus der Geschichte, Bonn oder Pinakothek, München) erfolgreich etabliert. Neben Facebook und YouTube steht es bei vielen Einrichtungen als Platzhalter für das erste erfolgreich etablierte Veranstaltungsformat im Zusammenspiel von digitalen Medien und der realen Umgebung des Museums.
Der überwiegende Teil der deutschen Kultureinrichtungen hat aber noch nicht einmal im Ansatz mit einem solchen Format experimentiert oder Erfahrungen gesammelt. Die Speerspitze der deutschen kulturaffinen Socialmedia-Evangelisten mag also im Urteil über die Aktualität des Formats weit voraus sein, die breite Masse der Kultureinrichtungen und ihrer digitalen Communities tänzelt noch nicht einmal im Mittelfeld hinten nach. In dieser Schieflage mag das Format den einen als abgenutzt und verbraucht erscheinen, den anderen bleibt es aber Herausforderung und Neuland. Sinnvoll scheint mir aber der Appell, solche Formate permanent kreativ weiter zu entwickeln und im Blick auf eigene Zielgruppen plattformübergreifend zu konzipieren. Institutionen in der „Leadposition“ des digitalen Aufbruchs haben längst verstanden, dass man zu den Social-Events nicht nur Akteure einer Plattform einlädt, sondern sich möglichst breit aufstellt. Das Städel hat das jüngst sehr schön umgesetzt: #200JahreStaedel. Ich selbst bleibe als leidenschaftlicher Twitterer nachhaltig auch von der Sinnhaftigkeit textbasierter Kommunikation im Museum überzeugt. Die Microblogging-Plattform Twitter hat zwar offenbar einen Sättigungsgrad in Deutschland erreicht, an Schwung verloren und ist zweifellos nicht im Mainstream angekommen. Sie funktioniert aber international wunderbar und wird gerade auch vom kulturaffinen Publikum treu bespielt. Das, was man früher Community nannte, schimpft man heute „Blase“ – und verkennt doch auch, dass stabilere Strukturen gewachsen sind, die zuverlässige Sichtbarkeit und Reichweiten ermöglichen.

#tbt Woman Walking Down a Ladder (c) 1973 Babette Mangolte

Ein von Trisha Brown Dance Company (@trishabrowncompany) gepostetes Foto am


Von Jean Paul und Frank Zappa
In der Regel zitiere ich bei Diskussionen über Twitter gerne Jean Paul und sein „Sprachkürze gibt Denkweite“. Nun startet Anika Ihren Kommentar aber mit einem schönen Bild, einem paraphrasierten Zitat nach Frank Zappa (?): „Über Kunst zu twittern, ist wie über Architektur zu tanzen„. Fröhlich rufe ich da ein „genau so!“ in die Runde, – Twittern ist wie Architektur zu tanzen und das geht wunderbar.

Ein kleiner Exkurs: Tanz und Architektur als Markierung des Raumes
Tanz und Architektur sind eng miteinander verbunden. Der gemeinsame Impuls Räume zu gliedern läßt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Schon der gute alte Homer berichtet, dass Dädalus dem König Minos in Kreta ein zweites Labyrinth baute: einen Tanzplatz für  seine Tochter Ariadne. Die Wände des Tanzplatzes wurden vom Chor der Tänzerinnen und Tänzer bzw. ihren Körpern gebildet. Geht also schon früh los, das Zusammenspiel. Auch das klassische Ballett begreift den aufrechten Körper wie ein architektonisches Gebilde. Es entwirft eine ideale Körperarchitektur, die vielfach auf den umgebenden Raum reagiert. Diesen Impuls hat im frühen 20.Jahrhundert auch die Tanzmoderne untersucht. Allen voran Oskar Schlemmer, der 1922 im „Triadischen Ballett den menschlichen Körper und die Gesetze des Raumes in den Fokus nahm. Der Tanz setzt sich aber auch mit vorgefundenen baulichen Gegebenheiten auseinander, indem er in deren architektonische Anordnung körperlich interveniert.

“Man Walking Down the Side of the Building” (1970) - Trisha Brown Company, Inc. Choreography: Trisha Brown
“Man Walking Down the Side of the Building” (1970) – Trisha Brown Company, Inc. Choreography: Trisha Brown

Tanz als Intervention 
Seit den 1960er finden sich zahlreiche choreografische Experimente, die die Architektur als lebensweltliche Orientierung und Lebensraum thematisieren. Als erstes fällt mir da immer Trisha Brown ein, die in ihrem Stück „Man Walking Down the Side of a Building einen Tänzer an Seilen eine Hauswand hinunterlaufen ließ. Im „Roof Piece“ (1973) verteilte sie Tänzer auf weit auseinanderliegenden Hausdächern im New Yorker Stadtviertel SoHo. Es geht ihr um das Verhältnis von Nähe und Distanz bzw. die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Kommunikation. Eine schöne Analogie zu den digitalen Medien.

Tanz als Dialog mit der Architektur
In Deutschland ist es vor allem die Berliner Choreografin Sasha Waltz, die in der Reihe „Dialoge“ mit der Architektur experimentiert. Im Fokus stehen dabei leere Museen oder Theaterbauten: das Jüdische Museum oder Neue Museum in Berlin, eine mittelalterliche Klosteranlage oder ein Opernhaus in Frankreich, eine Kirche oder der entkernte Palast der Republik in Berlin. Die „Dialoge“ sind interdisziplinär angelegt und versuchen kurze bzw. intensive Begegnungen zwischen Musikern, bildenden Künstlern, Tänzern und Choreographen. Im Mittelpunkt steht der freie Geist der Improvisation, – und die Lust am Experiment:

Wenn also beim Twittern aus einem Museum auch nur ansatzweise etwas gelingt, was Architekur und Tanz längst vermögen, – die intensive und komprimierte Reaktion auf den umgebenden Raum, die direkte Begegnung mit einem oder vielen Objekten, das verbindende Gemeinschaftserlebnis, die textbasierte Intervention und Improvisation auf ein Thema, dann hat die Plattform, und von mir aus auch das Format des „Tweetups“, seinen Sinn gefunden. Das funktioniert dann auch wunderbar neben oder mit der bildbasierten Interaktion auf Instagram. Und nix gegen Zappa 😉

4 comments

  1. Lieber Christian,
    deinem Vergleich zu Architektur und Tanz möchte ich noch die aktuelle Ausstellung von William Forsythe im MMK Frankfurt anhängen, die in einem Museum Räume durch Tanz und Bewegung erfahrbar macht 😉
    Ich finde deine Beschreibung der Lage mit Twitter, dem Digitalen und den Museen sehr treffend. Immer wieder zeigt sich, dass Museen nicht gleich mit den ganz neuen Sachen einsteigen sollten, sondern das von anderen bereits erprobte bessere Möglichkeiten bietet den digitalen Raum zu erschließen. Wenn ich darüber nachdenke auf wie vielen schlecht organisierten Blogger-Events ich war, die bloß schlecht organisiert waren, weil man die Bloggercommunity und ihre Bedürfnisse nicht kennt. Da hätte man vielleicht besser ein gutes, nettes Tweetup gemacht 😉
    Ich mache jetzt mal nicht das Fass auf, dass es den meisten letztendlich an Personal mangelt bzw. am richtigen! Da ist das Städel natürlich auch ein gutes Gegenbeispiel. Wenn Abteilungen gut aufgestellt sind, gelingt auch das mit dem Netz ganz wunderbar.
    Und am Ende finde ich geht es nicht um Aktualität der Aktionen, sondern darum ob man verschiedene Zielgruppen damit begeistern kann! Dabei ist sicher weder das Tweetup noch der Instameet ein Allheilmittel sondern nur eins von vielen, um Menschen zu erreichen und zu begeistern.
    Liebe Grüße
    Michelle

  2. Der Spruch kommt tatsächlich vom längst verstorbenen Ausnahme-Musiker Frank Zappa und lautet „über Musik zu schreiben ist wie über Architektur zu tanzen“

    1. ich hatte da im Vorfeld noch eine ganze Reihe anderer Urheber gelesen: Laurie Anderson, Steve Martin, Martin Mull, Elvis Costello und Thelonius Monk: http://quoteinvestigator.com/2010/11/08/writing-about-music/

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