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Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

Weltkulturerbe FAGUS – Matrix der Moderne

Weltkulturerbe FAGUS – Matrix der Moderne

Die Fagus-Werke im niedersächsischen Alfeld wurden am 25.06.2011 von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt. Der von Walter Gropius entworfene Bau ist damit künftig auf gleicher Stufe mit dem Schloss von Versailles oder dem Kölner Dom. Die Fabrik in Alfeld ist das Erstlingswerk  des Architekten und Bauhaus-Gründers Gropius und gilt als Schlüsselbau der Moderne. „Mit der Konstruktion aus Glas und Stahl (…) verlieh Gropius dem dreistöckigen Fassadengebäude eine schwerelose Eleganz, die damals für Fabriken außergewöhnlich war“, lobt die deutsche Unesco-Kommission den Bau. Die vor 100 Jahren gebaute Schuhleistenfabrik gilt damit als universelles Erbe der Menschheit und genießt besonderen Schutz.
Tatsächlich hat die Unternehmerfamilie Benscheidt mit den FAGUS-Werken nicht nur einen Pionierbau geschaffen, sondern auch eine genaze Reihe weiterer junger Künstler beschäftigt. Neben Albert Renger-Patzsch, der die Fabrik in den 30er Jahren fotografisch dokumentierte, hat auch der jungen Maler und Gebrauchsgraphiker Johannes Molzahn (1892-1965) für die Fabrik gearbeitet.
1922 machte Walter Gropius den befreundeten und im Bauhaus-Umfeld beheimateten Künstler Molzahn auf die Fagus-Werke in Alfeld aufmerksam. Molzahn war gerade nach Soest in Westfalen umgesiedelt und hatte ein „Industrie-Reklame-Büro“ eröffnet. Er träumte, wie an Freunde schrieb, von einer modernen Reklame, „eine noch amerikanischere Reklame als man sie in Amerika kennt“. Seine Arbeiten für die Fagus-Werke zählen heute zu den bedeutendsten Beiträge der modernen Typographie und sind in den wichtigsten Sammlungen vertreten:
Johannes Molzahn als Gebrauchsgraphiker für die Fagus-Werke
Molzahns Kontakte zu Karl Benscheidt und seine Arbeit für die Fa­gus-Werke in Alfeld sind in einer umfangreichen Korres­pondenz und einigen Entwurfsarbeiten aus der Zeit von 1922 bis 1925 belegt[1]. Auf Anregung von Gropius übersandte Molzahn am 10. Februar 1922 ein Bewerbungsschreiben und die Photographien einiger neuer Gebrauchsgra­phiken, die er eigens für die Fagus-Werke angefertigt hatte. In einem freundli­chen Ant­wortschreiben lehnte Karl Benscheidt vier­zehn Tage später zwar das von Molzahn vorgeschlagene neue Firmen­zeichen ab, bat aber um die Übersendung weiterer Arbeiten, da ihn die Entwürfe neugierig gemacht hatten. Nach einem er­sten Besuch in Alfeld im März 1922 händigte Ben­scheidt dem Künst­ler weiteres Anregungsma­terialien zu den Produkten der Firma und Entwürfe von Gropius zur Innenausstattung der Gebäude aus.

MoMA, The Collection: Johannes Molzahn

Sein Vorgehen kommentierte er mit den Worten: „Mein Be­streben wird es sein, Ihnen nach Möglichkeit alle Anregun­gen zu geben, die ich Ihnen ge­ben kann. (…). Unsere Unterhaltun­gen ha­ben mich sehr angeregt, sodass ich eine Anzahl neuer Pläne ge­schmiedet habe“[2].
Erste Entwürfe
Im April 1922 lieferte Molzahn schließ­lich er­ste Ent­würfe für die Schutz­marke der Fagus-Werke und wurde für die geleistete Arbeit erstmals entlohnt. Im darauf folgenden Monat fertigte er einen Entwurf für eine neue Reklametafel im Eingangs­bereich der Fabrik. Dieser wurde von Ben­scheidt zunächst kriti­siert, nach Rücksprache mit Gropius aber angenommen: „Mein erster Eindruck und auch der meines Vaters wa­ren Über­raschung und Gefal­len. Nachher kamen mir aber doch Zwei­fel, ob die Reklame durch die Häufung der Pfeile nicht etwas auf­dringlich wir­ken würde. Ich habe die schlichte Art, wie der Fir­menname an den Ge­bäuden steht, immer besonders schön gefunden, und es darum für meine Pflicht gehalten, mich zunächst mit Gropius in Verbindung zu setzen. Dieser schreibt mir nun heute: „Mir gefällt der Entwurf gut und ich möchte Ihnen raten, ihn in dieser Form ausführen zu lassen. Ich finde ihn, da er im Formcharakter leicht ist, nicht zu aufdringlich. Reklame hat ja den Wert, das Auge auf sich zu len­ken. Die vorliegende Form ist aber durchaus nicht un­vornehm. Ich glaube, dass sich der Formcha­rakter mit dem Gebäude verträgt“. Damit fallen für mich die letz­ten Bedenken, denn Gro­pius ist für mich in allen Fragen des Ge­schmackes die Autorität, ganz besonders dann, wenn es sich um et­was handelt, was mit unse­ren Bauten in Verbindung steht (…). Ich bitte Sie nun, mir ent­sprechende Scha­blonen und Detailblätter für die Beschriftung anzu­fertigen2[3].

MoMA, The Collection: Johannes Molzahn
MoMA, The Collection: Johannes Molzahn

Dieses Schreiben doku­mentiert nicht nur das intensive Vertrauensverhältnis zwischen Benscheidt und Gropius, sondern auch die Kontrollinstanz, die der Leiter des Bauhauses für die er­sten gebrauchsgraphischen Ar­beiten Molzahns darstellte. Nachdem Gropius sein Einverständnis erklärt hatte, wurde Molzahn mit der Neugestaltung der ge­samten Fir­menreklame be­auftragt: bis zum Jahr 1925 lieferte er Entwürfe für Maßtabellen, Brenn-, Stahl- und Gum­mistempel, Be­suchskarten bzw. -anzeigen, Brief- bzw. Mitteilungs­bögen, Rech­nungsformulare, Normumschläge, Postkarten, Mahnformu­lare, Paket­karten, Werbeanzei­gen und Pro­spektblätter. Einen vor­läufigen Höhepunkt erreichte Benscheidts Ver­trauen in die gestal­terischen Fähigkeiten von Molzahn im April 1924, als der Fir­menchef den Künstler um die „Bekanntgabe aller negati­ven Auffäl­ligkeiten in der Druckgraphik der Ben­scheidt-Werke“[4] bat und diese nach den Vorschlägen des Künstlers korri­gierte.
Von Molzahn zu Herbert Bayer
1925 wurde Molzahn als Werbegraphiker der Fagus-Werke von seiner Auf­gabe ent­bunden und die Ausführung der künftigen Arbeiten an den Leiter der Bau­haus-Werkstatt für Druck und Reklame, Herbert Bayer, verge­ben[5]. Zu diesem Zeitpunkt war das graphische Er­scheinungsbild der Fagus-Werke aber bereits fast vollständig über­arbeitet. Die Wei­terbetreuung der betrieblichen Drucksachen durch Bayer ge­schah ver­mutlich im Ein­vernehmen mit Molzahn und diente lediglich der kostengünstigeren Koordina­tion von Entwurf und Druck durch das Bau­haus. Erst für die Zeit nach Bayers Weggang aus Des­sau 1928 ist wieder ein Auf­trag der Fagus-Werke an Molzahn nach­weisbar[6].
Molzahn und die zeitgenössische Typographie
Für seine Arbeit wurde Molzahn offensichtlich von Benscheidt mit Literatur über die moderne Typographie versorgt. Zu­sätzlich konnte er sich von seinen Freunden Robert Michel und Kurt Schwitters be­raten lassen, die wie zahlrei­che andere Künstlerkollegen nach 1921 ihr Schaffen auch auf die Gebrauchsgraphik ausgedehnt hatten. Schwitters gründete 1924 das „MERZ-WERBE-Büro“ in Hannover und legiti­mierte damit sei­nen kom­plexen Gestaltungsbegriff, der alle Lebens­bereiche umfas­sen und die herkömmlichen Gattungsgrenzen von bildender Kunst, Werbe­graphik, Architektur, Plastik und Dichtung auflösen sollte. In Heft 11 der von ihm publizierten MERZ-Zeitschrift stellte der Künstler seine „Thesen über die Typographie“ vor und gab damit eine Anleitung zur Gestaltung moderner Reklame[8]. Schwitters The­sen waren, wie die nahezu zeitgleich entwickel­ten Anweisungen von Max Burchartz, Jan Tschichold oder des Bau­hauses, für Mol­zahn wegweisend. Im Zuge der Tätigkeit für die Fagus-Werke reiften Molzahns Gebrauchsgraphiken von einem „anfangs experi­mentellen, dann programmatischen Avantgardismus“ zu „souveräner Professiona­lität“[9]. Waren seine ersten Arbeiten wegen ihrer man­gelnden Präzision und der daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der drucktechnischen Umsetzung von Benscheidt kritisiert wor­den, so fand der Künstler „unter dem Eindruck mo­derner Wirt­schaftsformen auch stilistisch zu jener konstruktiven Klar­heit und sach­lichen Funktionalität, die für seine weitere gebrauchsgraphi­sche Arbeit bestimmend blieb“.
Bei der Konzeption seiner Entwürfe orientierte sich Molzahn an den Grundsätzen elementarer Typographie. Auf der Grundlage der psycho­logischen Wirkungsmechanismen der Werbung konzipierte er seine Ar­beiten nach den Kriterien der Typisierung, Normierung und Funktio­nalität. Übersichtlichkeit, klare Schriftty­pen, einfache Symbole wie Pfeile, Kreise und Rahmen, und der Verzicht auf plakative Or­namentik charakterisieren die Arbeiten dieser Zeit.
Seine aus dieser Beschäftigung resultierende Beziehung zur Familie Benscheidt hat Molzahn 1934 resümiert: „Meine ersten Auf­traggeber auf dem werbegraphi­schen Gebiet wurden mir zugleich die besten Lehrer der Pra­xis, – die Herren Karl Benscheidt Vater und Sohn (…). Auf zahl­reichen Gän­gen durch das Werk, intensiver Unterwei­sung der Produktionsvor­gänge und auch in der Folge prakti­scher Zu­sammenarbeit, wurde mir insbesondere Karl Benscheidt der Jüngere ein unüber­trefflicher Lehrer moderner Produktions- und Wirt­schaftsformen. Hier ging mir der tiefe und ethische Sinn und die Zusammenhänge der Arbeit auf: wie die geformte Materie bedingt ist durch den Ar­beitsvorgang, der wiederum nichts anderes ist als das mehr oder weniger organisierte „Werkzeug“, das die Zeit uns in die Hand drückt“[10].


[1] Die Korrespondenz Molzahn-Benscheidt ist in Privatbesitz. Ergänzende Dokumente finden sich aber auch im Nachlaß von Ilse Molzahn (Staatsbibliothek Berlin, Nachlaß Ilse Molzahn 161/52).
[2] Brief Karl Benscheidt an Johannes Molzahn am 03.04.1922.
[3] Brief Karl Benscheidt an Johannes Molzahn am 16.05.1922.
[4] Brief Karl Benscheidt an Johannes Molzahn am 08.04.1922.
[5] Kat. Ausst. Herbert Bayer – Das künstlerische Werk 1918-1938, Berlin 1982, Nr. 114-120. Kat. Ausst. FAGUS – Industriekultur zwischen Werkbund und Bauhaus, Berlin 1998.
[6] Vgl. dazu den Brief von Molzahn an seine damalige Frau Ilse Molzahn vom 18.05.1928 (StaBi Berlin, Nachlaß Ilse Molzahn 161/43).
[7] Vgl. Gries 1997, S. 145.
[8] Kurt Schwitters, Thesen über Typographie, in: Merz 11 (Pelikan-Nummer), Hannover 1924, S.91.
[9] Roland Jaeger, Johannes Molzahn als Gebrauchsgraphiker und Buchgestalter, S. A 233, in: Karl H. Ressler (Hg.) , Aus dem Antiquariat, 6/1992, S. A 225ff.
[10] Johannes Molzahn in seinem selbstverfassten Lebenslauf 1934.

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