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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

"It’s not a game, it’s a story" – Stan Douglas und seine App "Circa 1948"

"It’s not a game, it’s a story" – Stan Douglas und seine App "Circa 1948"

Der für seine komplexen und perfekten Foto- und Videoarbeiten bekannte kanadische Künstler Stan Douglas hat in Zusammenarbeit mit dem National Film Board of Canada in fünfjähriger Arbeit eine grandiose App für iPhone und iPad realisiert: „Circa 1948„.

Multimediaprojekt zur Nachkriegszeit 
Die (kostenlose) App gehört, wie auch eine Liveshow auf dem Tribeca Film Festival („Tribecca Installation„), zu einem komplexen Multimediaprojekt, in dem Douglas historische Straßenzüge und Gebäude seiner Heimatstadt Vancouver auf Basis von Archivmaterial rekonstruiert. Bereits 2012 hatte sich Douglas mit dem Vancouver der Nachkriegszeit auseinandergesetzt und eine ganze Reihe von Fotoserien „Midcentury Studio“ erarbeitet: „We know what wartime is like. We know what the 50s are like – the nuclear family, the sudden call to order and morality. But we don’t really understand the interim period, from 1945 to 1950. How did society go from one to the other? And what decisions were made to change society? I was interested in that liminal period, as I always am in my work.

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Vancouver – circa 1948 
„Circa 1948“ bewegt sich auf einer digitalen Bühne im historischen Vancouver und verortet den User zwischen zwei Stadtvierteln: da gibt es den eher wohlhabenden „western district“ auf der einen Seite, – und den verarmten „eastern part“ auf der anderen Seite. Letzteren beschreibt Douglas in eigenen Worten: “basically an ethnic slum where the laws of the city had been suspended. There was bootlegging, gambling, prostitution. Even the mayor would go there to party”. Lokalisiert wird der User wahlweise in „Hogan’s Alley“ wo sich die Erinnerung an Immigranten, Herumtreiber, Polizisten und korrupte Politiker verdichtet oder im vormals feudalen „Hotel Vancouver“, dessen weite Gänge und morbide Räume den Glanz früherer Zeiten erahnen lassen. Die Straßenzüge und Häuser sind atmosphärisch beleuchtet, bleiben aber menschenleer, – allein Musik und Geräusche lassen das Leben erahnen und locken zu ausgewählten Situationen und Orten.

Ein digitales Historiengemälde und Stimmungsbild der späten 50er
Es gibt keine feste Story in dem interaktiven „Game“. Der User bewegt sich über eine Screensteuerung und ist auf seine natürliche Neugier zurückgeworfen. Der Duktus des Spiels wird maßgeblich von Musik und atmosphärischen Audioeinspielungen getragen, die vom User direkt oder indirekt ausgelöst werden. Die Texturen der Straßen, Fassaden oder Innenräume erinnern an das Design professioneller Adventuregames und sind detailgenau ausgearbeitet. Die in das Game eingebetteten Charaktere sind bestenfalls flirrende und schemenhafte Geistwesen, die mehr zu ahnen sind, als sie gesehen werden können. Der User bewegt sich wie in einem digitalen Historiengemälde, das sich als computergenerierte 3-D-Projektion ins 21.Jahrhundert gerettet hat. Dabei zieht einen das Spiel sehr schnell in die Atmosphäre, Geschichte und Geschichten der jeweiligen Umgebung hinein. Insgesamt hat Douglas 44 Stories versteckt, die der User auf seinem Weg entdecken kann und die bunte Dialoge entfalten. Mal ist es ein ausgewähltes Objekt, das direkt mit einer Geschichte verknüpft ist, mal ist es ein Charakter, der in einem Hinterhof eine Geschichte erzählt. „History will not be silent“ heißt es im Trailer zur App und tatsächlich sind es Fetzen unterschiedlichster Biographien und Lebenswirklichkeiten, über die der User auf seiner Zeitreise in das Kanada der 50er Jahre geworfen wird. Hanno Rauterberg äußerte einmal, dass man sich in der Kunst von Douglas fühlt wie ein „Chamäleon, das in alle Himmelsrichtungen gleichzeitig schaut„. In der App sind diese Himmelsrichtungen nun sogar navigierbar. Zudem gelingt dem Künstler eine eigenartige und magnetisierende Stimmung, die beim Benutzer die Lust am explorativen Stöbern weckt. Und trotzdem: “it’s not a game,” sagt der Künstler, “it’s a narrative. There’s no task: you’re not told to find this, kill that. There’s no beginning, middle or end – you’re sort of always in the middle. But that’s always the best part of a novel, say: not the beginning or the end. In the middle you know what’s going on.”

„Circa 1948“
Download für iPhone und iPad via itunes: https://itunes.apple.com/us/app/circa-1948/id836688265?mt=8
Volumen: 1,2 8 GB (!)
Sprache: Englisch
erschienen: 04/2014
Website: http://circa1948.nfb.ca

Mein Tip: auf dem iPad ansehen! Auf dem Smartphone läuft die App zwar auch fehlerfrei, die Bilder sind aber recht klein, etwas schwer zu navigieren und vermitteln weniger Atmosphäre. Zudem sollte man Zeit und Ruhe mitbringen, – man muss sich auf die Audioeinspielungen einlassen!

Ausstellung und Theater
Zu Stan Douglas zeigt das Haus der Kunst ab dem 20.06. die Ausstellung „Mise en scène„. Ab dem 18.06. zeigen die Kammerspiele Douglas erstes Theaterstücks „Helen Lawrence“ (Aufführungen von 18–26.06.14).

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