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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

"Sonification": Twitter als Klangerlebnis

"Sonification": Twitter als Klangerlebnis

In einer ganzen Reihe internationaler Projekte werden Tweets immer wieder akustisch visualisiert. „Sonifikation“ heisst sowas dann, – und bedeutet generell die „Darstellung von Daten in nichtsprachlichen Klangereignissen“.
Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass der Hörsinn in vielen Fällen ein hohes Potenzial besitzt, zum Sehsinn komplementäre Informationen auf einfache Weise zu vermitteln. Die Anwendungsgebiete der Sonifikation erstrecken sich heute auf viele Bereiche, wie Prozessüberwachung oder Data Mining, finden als ästhetisches Konzept und Methode aber zunehmend auch künstlerische Anwendung (Beispiel „Brillant noise“ von Semiconductor aus dem Jahr 2006).
Ich selbst bin ein großer Fan dieser Umsetzungen, die nun eben auch für den digitalen Raum mit neuen Erfahrungsebenen experimentieren. Dabei entstehen nicht nur spannende, mysthische, zuweilen sogar symphonische Klanginszenierungen und Bilder, sondern auch Markierungen über digitale Themen, geographische Tendenzen, soziodemographische Stimmungen und Interaktionen. Einige Projekte nutzen Twitter als Datenquelle und visualisieren sinnliche Hörräume aus den einzelnen Tweets, Retweets und Trendic Topics.
#tweetscapes
Das vom Klangkünstler Anselm Venezian Nehls (HEAVYLISTENING) und dem Sonifikationsforscher Dr. Thomas Hermann entwickelte Projekt #tweetscapes wurde ursprünglich im Oktober 2011 im Auftrag von Deutschlandradio Kultur ausgeführt. Es läuft dort regelmäßig in der Programmschiene „Sonarisationen“ als Projektbeispiel für eine Umsetzung „akustischen Erkenntnispotentials“. 2012 wurde das Format durch den Videokünstler Tarik Barri um eine Visualisierung ergänzt und ist nun auf http://tweetscapes.de als audiovisueller 24/7-Live-Stream oder auch als audiovisuelle Surround-Installation #tweetspace zu sehen. Das Grundprinzip scheint einfach: deutsche Twitter-Nachrichten werden in Echtzeit in abstrakte elektronische Klänge und Bilder umgewandelt. Dabei beeinflussen der Standort des Twitter-Nutzers, die verwendeten Hashtags oder die Art des Tweets (Reply oder Retweet) den Klang. Auch die Anzahl der Follower des Absenders wirkt sich auf den jeweiligen Einzelklang aus. Der Datensatz bildet derzeit die Aktivität von ca. 600.000 deutschen Twitternutzern ab, aber das Prinzip läßt sich wohl auch auf andere, größere Datensätze ausweiten.

Tweetscapes zeigt keine klar strukturierte Musik, sondern ist eher als akustisches Landschaftsbild von Twitter Deutschland zu verstehen. Dieses erscheint manchmal rythmisch, bisweilen von bestimmten Mustern durchzogen, dann aber auch vollständig abstrakt.
Auf der Ars Electronica 2012 hat das Projekt in der Kategorie „Digital Musics & Sound Art“  eine Auszeichnung gewonnen: „#tweetscapes möchte der Entwicklung von Themen und dem Rhythmus des Online-Dialogs eine sinnliche Komponente hinzufügen. Es lässt nicht nur einzigartige Klangwelten entstehen, sondern zeigt darüber hinaus das soziale Netzwerk aus einer völlig anderen Perspektive“.
Die ZEIT mutmaßte im interdisziplinären Kunstprojekt Tweetscapes sogar „die Zukunft des Datenjournalismus (…): Man sieht und hört in Echtzeit, welche Themen wo den Diskurs beherrschen“.

The Listening Machine: How It Works
The Listening Machine: How It Works

The Listening Machine
Die „Listening Machine“ versteht sich als ein von den Künstlern Daniel Jones und Peter Gregson konstruiertes und vom Ensemble der Britten Sinfonia instrumentaliertes System, das ein fortlaufendes Klangerlebnis aus der Aktivität von 500 Twitterusern aus Großbritannien generiert:
„(…) You can hear the mood of Twitter change over the course of the day; from a slightly grumpy morning to an optimistic afternoon, through to going to sleep at night. (…)“ (Peter Gregson).
Aus den acht Teilbereichen „Kunst, Wirtschaft, Bildung, Gesundheit, Politik, Wissenschaft, Sport und Technologie werden die entstehenden Unterhaltungen, Gedanken und Gefühle in Echtzeit in musikalische Pattern übertragen und akustisch umgesetzt. Von Mai bis Oktober 2012 ist das Projekt in die von der BBC und dem Arts Council England getragene Plattform „TheSpace.org“ eingeflossen:
„Britten Sinfonia is one of Europe’s most pioneering chamber orchestras. Renowned for its diverse artistic collaborations and its ambitious new music commissions, the orchestra performs regularly in some of the finest venues in the UK and worldwide. (…) To engage with The Space they have collaborated with technologist Daniel Jones and cellist/composer Peter Gregson to develop The Listening Machine – a musical representation of activity on the social media site, Twitter. (…) The machine analyses the properties of their tweets in terms of both sound, sentiment and meaning, and generates music in response. The sounds for the Listening Machine have been recorded by Britten Sinfonia. (…)“

 
 
 

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