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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

#outofblue: Anmerkungen zu einem "Tweetup in einer Ausstellung, die es nicht gibt"

#outofblue: Anmerkungen zu einem "Tweetup in einer Ausstellung, die es nicht gibt"

#intoblue: TWeetup in (k)einer Ausstellung / Photo: Vivi D'Angelo
#outofblue: Tweetup in (k)einer Ausstellung / Photo: Vivi D’Angelo

Am 21.10. hatten die Kulturkonsorten in Zusammenarbeit mit Marion Schwehr zu einem Tweetup im Haus der Kunst geladen, – in einer „Ausstellung, die es nicht gibt“. In der stummen Leere eines unbespielten Raumes fand sich eine Runde geladener Twitterer zusammen, um sich konzentriert über eine Sammlung „mitgebrachter“ Kunstwerke auszutauschen. Flankiert und vertieft wurde das gemeinsame Tun vom klugen Vortrag des Cicerone Stefan-Maria Mittendorf, der als Einziger bereits im Vorfeld über die ausgewählten Kunstwerke informiert worden war und über diese referierte.
#outofblue: Tweetup in (k)einer Ausstellung / Photo: Vivi D'Angelo
#outofblue: Tweetup in (k)einer Ausstellung – der Cicerone Stefan-Maria Mittendorf umringt von Twitterern / Photo: Vivi D’Angelo

13 Teilnehmer, 1 Cicerone und 1000 Tweets
Knapp 1000 Tweets haben die dreizehn eingeladenen Teilnehmer (11 vor Ort, zwei Externe aus Köln und Duisburg) und eine Vielzahl freier Mit-Twitterer in einer knappen Stunde auf der Microbloggingplattform produziert. In jedem Fall bedeutete das eine gute bundesweite Reichweite für das Experiment und an dem Abend auch die Auszeichnung als Trending Topic. Marion Schwehr hat inzwischen ein Storify der verschickten Tweets angefertigt, wo die Microposts nachgelesen werden können.

#outofblue: Tweetup in (k)einer Ausstellung / Photo: Vivi D'Angelo
#outofblue: Tweetup in (k)einer Ausstellung / Photo: Vivi D’Angelo

Die „mitgebrachten“ Werke
Jeder Teilnehmer war im Vorfeld aufgefordert worden, sich ein abstraktes Werk der Kunstgeschichte auszuwählen und dieses über Text- und Bildnachrichten in den Tweetup einzubringen. Über die Werke wurde dann nacheinander und jeweils über einen Zeitraum von ca. 3-5 Minuten gemeinsam getwittert. Im Ergebnis hatten sich die Twitterer, ohne jede gegenseitige Absprache, Werke von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart gewählt:
Christian Rohls („Rote Dächer unter Bäumen„, 1913), Paul Klee („Angelus Novus„, 1920 und „Zwitschermaschine„, 1922), Marc Chagall („Der blaue Zirkus„, 1950/52), Jean Dubuffet („Jardin d’émail„, 1974), Kasimir Malewitsch („Schwarzes Quadrat„, 1915), Günter Uecker („Feld 83/84„, 1983/84), Andy Warhol („Ohne Titel aus: In the Bottom of My Garden„, um 1956), Cy Twombly („ohne Titel (Roses)„, 2008), Gerhard Richter und Roni Horn („Water, Selected“, 2007), Thomas Ruff („Haus Nr.6„, 1989) und Oswald Mathias Ungers („Haus ohne Eigenschaften„, 1996).
Der Tweetup bedeutete damit bereits im Ansatz eine schnelle Reise durch die Kunstgeschichte und eine kollektive Reflektion über Malerei, Zeichnungen, Fotografie, Installationen und Architektur. Was das Experiment im Konkreten aber sichtbar machen würde, war unklar.

 
Reibung und Orientierung
Die meisten Teilnehmer hatten sich nachvollziehbar auf den Event vorbereitet. Die Mehrzahl hatte Tweets vorgeschrieben und darin vertiefende Informationen bzw. Links zu Abbildungen oder Videos transportiert. Zudem hatten sich einige Teilnehmer offenbar eine Dramaturgie der eigenen Posts überlegt und die einzelnen Informationshäppchen in einer bestimmten Reihenfolge geplant. Über Hinweise auf Titel, Datierung, Verbleib, Inhalt und Künstlerpersönlichkeit oder Zitate tastete man sich durch Provenienzen und Werkgeschichten. Neben diesen digitalen Informationen stand den Twitterern aber auch die simultane Reflexion auf die Ausführungen des Guides vor Ort offen. Als dritte Inspirationsquelle fungierte eine große Twitterwall, die jederzeit die Gesamtheit der Tweets vor Augen brachte. Es gab also ausreichend Reibungsflächen und Orientierungspunkte, auf die man reagieren konnte. Eine Teilnehmerin hatte zudem noch eine Gamingfacette in Ihren Stream eingebettet und twitterte Abbildungen zum gewählten Kunstwerk in Form eines visuellen Puzzles aus mehreren Teilen:

 
Kopfkino und der große „Flow“
In den getwitterten Dialogen wurde schnell deutlich, dass dieser Tweetup einige Herausforderungen an die Teilnehmer stellte. Das Sprechen über Objekte jenseits einer visuellen Sichtbarkeit bedeutete eine Verabschiedung von der phänomenologischen Betrachtungsweise. Die Twitterer mussten sich auf das Hören und Lesen konzentrieren, die Gleichzeitigkeit der Impulse arrangieren und dann auch noch selber neue Ideen finden. Und dennoch: über die Kommentare der Teilnehmer entwickelte sich eine virtuelle Ausstellung, wobei sich die besprochenen Objekte zu diffusen Metakunstwerken verdichteten und die Kuratierung quasi „on the fly“ geschah. Die gewählten Objekte blieben „unscharf“, waren aber trotzdem greifbar. Intensives Kopfkino schien eine detaillierte visuelle Bestandsaufnahme zu ersetzen. Die beim Tweetup intendierte „Abstraktion“ war also durchaus grundlegend. Im Geist entstand das Exzerpt der Künstlerpersönlichkeit bzw. Vorstellung des jeweiligen Einzelwerks, das sich aus Vertrautem und Bekanntem, bzw. Ungefährem oder Präzisen montierte. Je länger man diesem Spiel nachgab, umso intensiver wurde das Erlebnis. Dabei markierte die subjektive „Einfühlung“ auch den Grad des ästhetischen (intellektuellen) Erlebens. Recht schnell wurde deutlich, daß das Experiment ein völlig anderes Kulturerlebnis vermittelte als eben ein klassischer Tweetup, der doch recht zentral vom Storytelling über Diktion und Emotionen der Teilnehmer getragen wird.

 
Die Tatsache, dass man sich einer Meditation gleich, ohne jegliche Ablenkung, auf ein Werk konzentrieren konnte und dieses allein aufgrund von Beschreibungen im Kopf „entstand“, war sicher einer der spannendsten Eindrücke des Tweetups. Die Leichtigkeit, mit der man sich dann von einem Werk zum nächsten, von Malewitsch in der Tretjakov Gallerie zur Gartenskulptur von Dubuffet im Kröller-Müller-Museum und dann in die Sammlung Brandhorst begab, war verblüffend. Über die geschickte Moderation des Guides (auf Basis einer chronologischen Sortierung der Werke) tauchte Malewitsch‘ „Schwarzes Quadrat“ auch im Nagelbild bei Uecker wie in Ungers „Haus ohne Eigenschaften“ auf. Irgendwo stellte sich plötzlich die Frage, ob die Inszenierung von Kunst wirklich immer einen festen Ort (oder zwingend auch immer gebaute Architektur) benötigt? Das Erleben des Übergangs der Kunstwerke  eröffnete eine andere Wahrnehmung. Zumindest eine Alternative.


Tweetup als Textproduktionsmaschine

Der Tweetup war als Textproduktionsmaschine konzipiert, – d.h. er brachte nicht per se eine geplantes Endergebnis, sondern nur ein Zwischenprodukt auf dem Weg zu echter Literatur. Marion Schwehr wird die Tweets analysieren, abstrahieren und „literarisieren“. In den bislang vorliegenden Nachlesen wurde das Experiment als „rauschhaft„, „filterlos“ oder „absurd“ beschrieben. Auch die einlaufenden Tweets während des Events schwankten zwischen absoluter Begeisterung und völligem Unverständnis.

 
Nun, – da, wo es nix zu sehen gibt, gibt es aber womöglich mehr zu denken und zu erleben. Der Tweetup war sicher anspruchsvoll und anstregend, – aber auch ein sehr intensives und konzentriertes Erlebnis. Eine neue Kulturerfahrung, irgendwo zwischen sportlichem Powerseminar und meditativer Kunstbegehung. Der für mich intensivste Aspekt des Experiments war der schnelle Wechsel zwischen den Objekten, zwischen den vermeintlichen Orten, dem Drinnen und Draußen, zwischen Objekten im Museum und Kunst im Garten oder freien Land. Die freie Reise zwischen Moskau und Island. Der unverstellte Wechsel zwischen den Objekten. Im Unterschied zu einer Führung war kein Raum zu durchschreiten, keine Strecke zu machen und nichts, was Konzentration oder Blick verstellte. Ich mag das.

 

5 comments

  1. Nichts gegen Tweetups, aber nebeneinander sitzen und sich via Twitter unterhalten, ist schon ein bisschen autistisch. Da sehe ich den Mehrwert nicht so ganz…

    1. Das war damals ein Experiment auf die Frage, wie virtuell eine Umgebung sein kann, in der sich Menschen über Kunst austauschen. Wir haben die Sache mit dem „white cube“ mal wörtlich genommen und eine Ausstellung nur in den Köpfen der Teilnehmer „gehängt“. Toll war, dass wir trotzdem einen professionellen Guide dabei hatten, der uns durch die virtuelle Ausstellung geführt und alle besprochenen Werke vorgestellt und kommentiert hat. Und wie bei jedem Social-Event unterhalten sich ja nicht nur die Personen, die leibhaftig anwesend sind, sondern auch die, die von außen mitlesen und beitragen. Das waren damals eine ganze Menge (ein vielfaches der Teilnehmer im Raum), – und die hatten auch ordentlich Spaß und Anregung dabei. Implusgeber der Veranstaltung war dann auch die Literaturwissenschaftlerin Marion Schwehr, die aus den Tweets zum Projekt einen beeindruckenden literarischen Text montiert hat (den es übrigens auch als Poster gibt): http://marionschwehr.de/2013/12/20/outofblue-aus-tweets-wird-literatur/. Also eine ganze Menge „Mehrwert“ 🙂

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