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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

Frauen, Frauen, Frauen. Betrachtungen zur App in der Pinakothek der Moderne, München

Frauen, Frauen, Frauen. Betrachtungen zur App in der Pinakothek der Moderne, München

Drei Ausnahmekünstler des 20. Jahrhunderts treffen in der Pinakothek der Moderne in München aufeinander: Pablo Picasso, Max Beckmann und Willem de Kooning. 95 Frauendarstellungen auf über 1.800 Quadratmetern, in 14 Sälen und in fünf Kapiteln. Frauen als Urbild oder als erotische Femme fatale, als in sich ruhende Geliebte oder als Ikone der Zeitgeschichte. Eine spannende, unbedingt sehenswerte, Ausstellung (30.03.  – 15.07.2012), die die Pinakothek auch zum Anlass für eine aufwendige (und kostenlose) App genommen hat. Diese wird im Web zuweilen vollmundig als eine „der eindrucksvollsten Apps, die für eine Museumsausstellung entwickelt wurde“ angekündigt und es ist nun die Frage, ob die Anwendung diesen Superlativ auch halten kann.
Auf dem iPhone und in der Ausstellung
Ich habe mir das Teil zunächst aufs iPhone heruntergeladen (erste Hürde: satte 524 MB) und bin damit durch die Ausstellung gelaufen. Um es kurz zu machen: das war nix. Auf dem Mobilteil ist die Anwendung träge und übervoll, offensichtlich nur rudimentär auf den kleinen Screen optimiert (Texte kaum lesbar) und keine rechte Hilfe oder sinnvoller Begleiter vor Ort.
Zudem wurde ich in der Ausstellung vom Aufsichtspersonal sofort angesprochen, dass ich nicht telefonieren oder photographieren dürfe, – obwohl ich das gar nicht vorhatte. Vielleicht wäre es hilfreich das Aufsichtspersonal in den Schauräumen entsprechend zu instruieren: zur Ausstellung gibts eine App und nicht jeder Besucher hat Unsinn im Kopf, wenn er sein Smartphone zückt.
Als Anwendung auf dem iPad
Auf dem iPad habe ich die (nur in Deutsch verfügbare) Anwendung mit Gewinn und Vergnügen genutzt. Nicht vor Ort, sondern zur Vor- und Nachbereitung, oder, wie es in der Ankündigung der App auf der Website der Pinakotheken heisst, zur Intensivierung: „Im Zentrum der App stehen 25 ausgewählte Bilder der drei Künstler. Neben hoch aufgelöstem Bildmaterial, das eine besondere Annäherung an die Kunstwerke ermöglicht, stehen dem Nutzer zusätzliche Informationen zum Lesen und/oder Anhören zur Verfügung. Ein Zeitstrahl verknüpft die Künstlerbiographien mit geschichtlichen Ereignissen und kunsthistorischen Highlights und ordnet diese in das historische Umfeld ein. Darüber hinaus bieten Interviews (…)  Expertenblicke auf die Künstler, das Konzept der Ausstellung, und natürlich die Frauen. Experimentelle Filmbeiträge von Studenten der Akademie der Bildenden Künste München runden das Angebot ab.“

Zeitstrahl der App
Zeitstrahl der App

Zeitstrahler
Kernelement der Anwendung ist ein Zeitstrahl, über den die Biographien der Künstler dokumentiert werden. Dieser ist zwar sicher informativ, erscheint in Konzeption und Ausführung aber etwas zahlenlastig, wuchtig und in der Navigationslogik verschraubt. Auch erscheinen die klickbaren Informationen in Fülle und Tiefe zuweilen sparsam, dann wieder ein wenig unübersichtlich und nicht auf Usability optimiert (ich hätte mir z.B. eine schnelle Übersicht der über die App verfügbaren Audiobeiträge zu den enthaltenen Kunstwerken gewünscht). Vielleicht wäre hier weniger mehr gewesen. Auch drängt sich ein wenig der Eindruck auf, dass ein vorgegebenes Baukastenmodul „Zeitstrahl“ mit den jeweils verfügbaren Fakten und Bildern angefüttert wurde. Tatsächlich bietet die App neben den drei Chronologien zu den Viten der Künstler noch einen vierten Zeitstrahl zur allgemeinem Zeitgeschichte. Dieser beginnt im Jahr 1888 mit der Kaiserkrönung Wilhelm II. , listet einen bunten Strauß an historisch und kunsthistorisch relevanten Daten und endet dann etwas unvermutet im Jahr 1972 mit einem Bild von Beuys  (Picasso stirbt aber erst 1973, De Kooning 1997).  Tatsächlich lassen sich die einzelnen Chronologien dann sogar zu einem fünften „Metastrahl“ kombinieren und Ereignisse aus den Viten der einzelnen Künstler in ein vergleichendes Nebeneinander ordnen. Um dieses Strahlenmonster horizontal zu navigieren wischt der User dann schon ein paar Mal über den Screen. Das Prinzip der Verschachtelung dieser Chronologien in einer Timeline ist im Ansatz sicher interessant, kann aber sicher auch visuell besser gelöst werden.
Picasso
Video: „Picasso malt“ (Ausschnitt aus „Visite á Picasso“, un film de Paul Haesaerts). Mehr Info zum Video: http://bit.ly/Ladhvy

Schöne Video- und Audiobeiträge
Mit großem Gewinn und Vergnügen habe ich in der App die zahlreichen enthalten (und teils exklusiv produzierten) Video- und Audiobeiträge gehört und gesehen. Nicht nur ein charmantes Intro über „Idee und Hintergründe der Ausstellung“ von der Chef-Kuratorin Prof.Dr. Carla Schulz-Hoffmann (3.40 Minuten), sondern auch zahlreiche weitere „Specials“: Von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Dr. Eva Reifert und Dr. des. Barbara Dabanoğlu, Originalvideos von und über Picasso, de Kooning und Beckmann (mit Originalaufnahmen von Picasso, de Kooning und Quappi) bis zu ausführlichen Audiobeiträgen von Michael Köhlmeier (3.13 und 3.26 Minuten) und Feridun Zaimoglu (32.18 Minuten). Die „Nachstellungen“ von Studenten der Akademie der Bildenden Künste München zu ausgewählten Gemälden sind gleichermaßen amüsant und  interessant, öffnen sie doch im Betrachter ein intensives „Nachfühlen“ der jeweiligen Bildkompositionen. Dabei finde ich es klasse, dass sich die Pinakotheken auf dieses Experiment mit den Studenten eingelassen haben und hier auch das gewohnte Spektrum der Informationsvermittlung verlassen.
Hilfreich auch die kleine Übersicht der „Frauen und Musen“ der Künstler, die mit kurzem Text und einer Abbildung über Lebensdaten und Erscheinung der Damen informieren.
Schade finde ich, dass die App auf einen Dialog mit dem User oder Betrachter verzichtet und keinerlei Möglichkeiten für Feedback, Sharing oder Partizipation gibt. Das Thema „Frauen“ ist sicher kein a priori und exklusiv kunsthistorisches Thema und wird von Carla Schulz-Hoffmann auch entsprechend vorgestellt. Die Ausstellung öffnet zudem auch einen neuen Blick auf die Bilder und stellt Fragen, auch im Hinblick auf die Gegenwart, an das aktuelle Frauenbild. Antworten auf diese Fragen hätte man wunderbar über eine soziale Anbindung bzw. Plattform einfangen können.
Die „Frauen“-App der Pinakotheken ist auf dem iPad eine brauchbare, in Teilen auch inspirierende und hilfreiche, Anwendung, – eine der eindrucksvollsten Museums-Apps ist sie sicher nicht. Den Vergleich mit anderen Apps auf dem amerikanischen oder englischen Markt (Beispiele: Maurizio Cattelan im Guggenheim (iPad) oder Gauguin in der Tate (iPhone)) sollte man nicht suchen, zumal auch mit Sicherheit die Budgets nicht vergleichbar sind. Wünschenswert wäre aber eine aktivere Einbinung der App als narratives und interaktives Instrument in das eigentliche Ausstellungskonzept. Da ist sicher noch mehr möglich.
Download der App „Frauen – Picasso, Beckmann, de Kooning“ über den iTunes store (sofern nicht gerade, wie auf der Facebookseite der Pinakothek zu lesen, unverständlicherweise von iTunes wegen vermeintlicher „Freizügigkeit“ gesperrt)

  • Category: Education
  • Released: May 17, 2012
  • Version: 1.1.1
  • Size: 524 MB
  • Publisher: Antenna Audio Inc

Weitere Informationen über iPad-Apps immer auch bei Dorian Ines Gütt auf Museums-Apps.de und auf dem Blog culture-to-go.com. Eine immer wieder lesenwerte (aber abgeschlossene) Diskussion zum Thema „Apps im Museum“ gab es im Juli 2011 im digitalen Raum der Tate.

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