Close

Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

ENDS OF THE EARTH. LAND ART bis 1974 / Haus der Kunst, München

ENDS OF THE EARTH. LAND ART bis 1974 / Haus der Kunst, München

Robert Kinmont, 8 Natural Handstands, 1969/2009, nine silver gelatin prints, edition of 10, each: 8 1/2 x 8 1/2 in., courtesy of Alexander and Bonin, New York.
Robert Kinmont, 8 Natural Handstands, 1969/2009, nine silver gelatin prints, edition of 10, each: 8 1/2 x 8 1/2 in., courtesy of Alexander and Bonin, New York.

Als erste große Museumsausstellung über Land Art liefert die Ausstellung „Ends of the Earth“ im Haus der Kunst, München (11.10.2012 – 20.01.2013) den bisher umfassendsten historischen Überblick über diese Kunstbewegung. 200 Arbeiten von über 100 Künstlern aus Australien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Island, Israel, Kanada, Japan, den Niederlanden, den Philippinen und der Schweiz zeigen, dass Land Art kein vorrangig nordamerikanisches Phänomen ist. Ganz bewusst versucht die Ausstellung einen Perspektivwechsel und blickt auf die weniger bekannten, kanonischen Arbeiten.
Die Land Art benutzte die Erde als Material und Land als Medium und schuf dabei Werke außerhalb der vertrauten Handlungsräume des Kunstsystems. Der zeitliche Rahmen von „Ends of the Earth“ erstreckt sich von den 1960er-Jahren bis 1974, als sich im Kontext von Land Art Strömungen wie Konzeptkunst, Minimal Art, Happening, Performancekunst und Arte povera stärker herausbildeten und auseinander bewegten.
Das Blau von Yves Klein
Bereits vor der eigentlichen Entstehung der Strömung in den 1960er-Jahren spürten Künstler an den verschiedensten Orten der Welt verstärkt den Wunsch, das Land in Anspruch zu nehmen und mit der Erde zu arbeiten. In einem elementaren Sinn schloss dies die Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit der Erde als Planet mit ein. Yves Klein z.B. fragte sich, wie die Erde wohl vom Weltraum aussieht. Seine Vision, dass aus dieser Perspektive die vorherrschende Farbe Blau wäre, und dass mit Blau sämtliche vom Menschen geschaffenen Grenzen überwunden werden können, setzte er 1961 mit seiner Serie der „Planetary Reliefs“ um.
Judy Chicago und der freie Himmel
Oft operierten die Künstler der Land Art direkt unter freiem Himmel. Dass die freie Natur andere Bedingungen für die Lebensdauer eines Werkes vorgab als geschlossene Räume, nutzten die Künstler produktiv. Manche Werke existierten nur für die kurze Zeit ihrer Ausführung, wie Judy Chicagos ephemere Arbeiten mit farbigen Flammen und Rauch, die Bezug auf religiöse Zeremonien und auf die Landschaft als eine Gottheit nahmen. Die Künstlerin ist übrigens heute gut in den Neuen Medien vertreten und publiziert Dokumentationen Ihrer Aktionen und Vorlesungen sogar auf einem eigenen YouTube-Channel.

Christo, Jeanne-Claude und Robert Smithson
Für zehn Wochen verhüllten Christo und Jeanne-Claude die Küstenfelsen in Little Bay, Sydney mit Kunststoff und Seilen; „Wrapped Coast – One Million Square Feet“ hatte – wie andere Werke der Land Art auch – gewaltige Ausmaße. Auch das Werk dieser Künstler wird mittlerweile ausführlich im digitalen Raum dokumentiert (Via Vimeo, Facebook und in offensichtlich frisch gestartet via Twitter). Hier eine Dokumentation ihrer Installation „5600 cubicmeter package“ auf der documenta IV in Kassel, 1968 (Courtesy of the Westdeutscher Rundfunk Köln (WDR)):

Lavahaus, Schotter, Lehm und ein lebendes Schwein
Die Künstler der Land Art waren von abgelegenen Orten wie z.B. Wüsten fasziniert. Hreinn Fridfinnsson konstruierte ein Haus auf einem unbewohnbaren Lavafeld in der Nähe von Reykjavik. Innen war es aus Wellblech und außen tapeziert. In der Auffassung des Künstler schien es sinnvoller, die Tapeten „außen anzubringen, wo mehr Leute sie genießen können.“ Einige Künstler übertrugen die Beschaffenheit bestimmter Orte in den Ausstellungsraum: Neben einem Haufen Schotter der japanischen Künstler der Gruppe „i“ fasziniert im Haus der Kunst vor allem ein minimalistisches Raster mit feuchtem Lehm der US-amerikanischen Künstlerin Alice Aycock. Diese Arbeit wurde für die Ausstellung im Haus der Kunst neu produziert. Der Lehm ist bereits jetzt getrocknet, hat Risse bekommen und sich der Erde im kalifornischen Death Valley angenähert. Mit „Hog Pasture: Survival Piece #1“ wird dann sogar ein lebendiges (und gut betreutes) Hausschwein für einige Stunden Einzug ins Haus der Kunst halten (zu sehen am Sonntag, 21.10. ab 12 h) und auf einer eigens angelegten Wiese grasen.
Land Art in Sammlungen und Museen
Von Anfang an setzten sich auch Sammler, Mäzene, Kunsthändler und Kuratoren mit der Frage auseinander, welche Produkte der Land Art man in einer Galerie oder einem Museum ausstellen konnte, und auf welche Weise dies geschehen sollte. So haben sie dazu beigetragen, Land Art als legitimes künstlerisches Genre zu etablieren. Im Fall von Robert Smithsons „Spiral Jetty“ unterstützte ein Kunsthändler die Produktion eines dazugehörigen Filmes, und das Werk existiert nun in drei Ausführungen: am Great Salt Lake in Utah als spiralförmige Landzunge von 1.500 Fuß Länge, als gleichnamiger Essay und als Film. Smithson selbst sah alle drei, Erde, Sprache und Film, als gleichwertig an.

Land Art und die Medien
Überhaupt spielen Sprache, Film und auch Fotografie bei der Entstehung und Entwicklung von Land Art eine zentrale Rolle. Die Künstler der Land Art und die Medien gingen eine enge Verbindung ein. Magazine und Fernsehsender gaben künstlerische Arbeiten in Auftrag und veröffentlichten sie als Erste. Legendär ist Gerry Schums „Fernsehgalerie„, der ersten für das Fernsehen geschaffenen Ausstellung, erstmals ausgestrahlt vom Sender Freies Berlin am 15. April 1969. Im Oktober desselben Jahres unterbrach der WDR acht Tage lang jeweils zur Primetime das reguläre Programm für einige Sekunden und zeigte eine der acht Fotografien der „Selbst-Beerdigung“ von Keith Arnatt. Hintereinander betrachtet zeigen die Bilder, wie Arnatt schrittweise im Boden versinkt.
Verwundung der Erde
Zahlreiche andere Werke berühren das Thema, dass „die Erde selbst verwundet wird“, wie es der japanische Bildhauer und Designer Isamu Noguchi (1904-1988) formuliert hatte. Die Künstler der Land Art beschäftigten sich mit den Wunden und Narben, die der Mensch dem Planeten Erde zufügt, sei es durch Kriegsmaschinerie (Robert Barry, Isamu Noguchi), Diktaturen (Artur Barrio), Atomtests (Heinz Mack, Jean Tinguely, Adrian Piper) oder Besiedelung (Yitzhak Danziger). Die intensive Begleitung der Land Art durch die Medien führte zu ungewöhnlichen und komplexen Beiträgen. Aufgeschlossen für die Forderung der Land Art nach einem sensiblen Bewusstsein für die Bedingungen von Produktion, Präsentation und Verbreitung von Kunst, verliehen sie gleichzeitig den technologischen, gesellschaftlichen und politischen Umständen der Zeit Ausdruck.
Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit dem Museum of Contemporary Art in Los Angeles und ist im Haus der Kunst vom 11.10.2012 bis 20.01.2013 zu sehen. Das wäre dann mehr als ein Ausstellungstip. Hingehen!

1 comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

5 × 1 =

Close