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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

Der vierte Stock im Literaturhaus München – über Sinn und Substanz und digitale Bühnen

Der vierte Stock im Literaturhaus München – über Sinn und Substanz und digitale Bühnen

Das Literaturhaus in München
Das Literaturhaus in München

Um es gleich zu sagen: das Literaturhaus hat nur drei Stockwerke, die jeweils über Treppe, Aufzug und Türen betreten werden können. Und dennoch liegt über dem Haus noch ein vierter Raum. Der digitale Raum. Er umgibt das Gebäude und alle darin stattfindende Kultur auf allen Seiten und Ebenen. Und er ist längst zu einem Tummelplatz geworden. Egal ob Lesung, Vortrag, Tagung, Festival oder Ausstellung, – dort treffen sich digital aktive Menschen und teilen mitunter Texte, Bilder, Videos und Kommentare, – über das Gebäude, Veranstaltungen, Themen, gerade erlebte Kultur.
Sinn und Substanz
Mit Staunen nehme ich dann immer wieder zur Kenntnis, dass vielen Veranstaltern und Besuchern der Umstand kurios, erstaunlich und manchmal geradezu unfassbar erscheint, dass man sich über Kunst und Kultur längst auch im Digitalen austauscht. Dass sich hier womöglich Diskussionen fortsetzen, die sich zu einem Wissensraum formieren. Dass hier Vertiefung passiert, die Sinn und Substanz hat. Dass Inspiration, Reflektion und Reflexion viele Ebenen haben, – und man Menschen einfach eine Tür verschießt, wenn man sie bei diesem Tun voller Vorbehalte ignoriert, bloß weil man das Wort „Facebook“ nicht mag und „Twitter“ nicht kennt. Es ist höchste Zeit hier einmal wieder auf längst aktive Strukturen zu verweisen, die schon lange nicht mehr nur eine „Szene voller Nerds“ sind. Im gleichen Maße wie sich die Digitalisierung durch die Gesellschaft bewegt und Smartphones als quasi fünftes Organ an unsere Sinne wachsen, wird auch diese Struktur wesentlich. Das Digitale ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und allenfalls die beinahe spezifisch deutsche Zögerlichkeit ein obsessives gesellschaftliches Stereotyp.

 

Twittersuche
Twittersuche: „Anzeigen, was gerade passiert“

Der Hashtag und die digitale Bühne
Umso entscheidender ist es, dass sich Kultureinrichtungen auf diese neue Umstände einlassen. Mit Ihnen experimentieren. Sie nach Sinnvollem ausloten und auf Möglichkeiten der Fortsetzung eigener Strategien abtasten. Oder eben als Plattform diesen Menschen und ihren Themen eine Bühne bieten, im Idealfall diese sogar moderieren. Wenn wir heute über Social-Media sprechen, so meistens über das Agieren der Institutionen selbst. Wir diskutieren Strategien der Selbstdarstellung und des Marketing oder stellen Fragen nach dem ROI. Dabei genügt es zuweilen schon einmal wenigstens genau hinzusehen. Es geht noch nicht einmal um Technik, wenn wir feststellen, dass es womöglich ein kleines Wort ist, ein Hashtag, der mit einem Schlag die Diskussion um ein Thema nachvollziehbar macht. „Anzeigen, was gerade passiert“ hat Twitter seine Schlagwortsuche überschrieben. Nur ein einziges Wort, das sinnvoll und strategisch genutzt, alles verbindet und die Leidenschaft und Teilnahme des Publikums an den eigenen Angeboten und Ideen sichtbar macht. Diesen Entäußerungen eine Wertschätzung entgegen zu bringen, ihnen womöglich Anlass, Hilfestellung oder sogar eine Bühne zu geben, sollte zur verpflichtenden Aufgabe werden. Mindestens aber ist es fahrlässig, dieses Meinungsbild einfach zu ignorieren. Ein klar kommunizierter Hashtag, ein hilfreicher QR-Code, gelegentlich eine Twitterwall, ein wenig Reflektion und Interaktion auf den relevanten Plattformen über das Mixtape als Zusammenstellung der verschiedenen Streams bis zur optimal vernetzten und interaktiven Institution als „Smart Place“ markieren Entwicklungspotentiale in diesem Kontext.
#nibelne
#nibelne im Rheinsichen Landestheater Neuss

Gänsehaut, Begeisterung und zukunftsweisende Kommunikation
Das Rheinische Landestheater Neuss hatte jüngst zu einem Tweetup vor der Premiere der „Nibelungen“ geladen und eine äußerst spannende „Twitterdämmerung“ herbeigerufen. Live-Erlebnis im Theater bzw. vor der Bühne wurden um Einführungsgespräch im Foyer und Dokumentation im Digitalen sinnvoll erweitert. Ein eindeutiger Hashtag (#nibelne) macht noch heute den fulminanten Austausch über dieses Event greifbar. Über Tools wie Storify haben Teilnehmer die Tweets dokumentiert. Die Institution hat das digitale Publikum offen empfangen, durch die Veranstaltung begleitet und abschließend kommentiert: der „TweetUp war Spannung, Gänsehaut, Begeisterung für Theater und einen großen literarischen Stoff„.

 

Das 4. Literaturfest München 2013 (06.11. bis 24.11.)
Das 4. Literaturfest München 2013 (06.11. bis 24.11.) #litmuc13

„Mit allen Sinnen“ – das 4. Literaturfest München
Nun ist es das Münchner Literaturfest (06.11.-24.11.), das sich erfrischend unvoreingenommen an das Digitale und eine breite Orchestrierung wagt. Mit Blog und Facebook, Twitter, Flickr, YouTube, Pinterest bzw. Instagram werden alle Register Web 2.0 gezogen, ja sogar digitale Kampagnen und der enge Anschluß an die leidenschaftliche Szene der Literaturblogger versucht. Es dürfte spannend sein, das Zusammenwachsen der tradierten Kommunikations- und Veranstaltungsstrukturen mit dem Neuen zu beobachten. Und es ist immer spannend nach den Konsequenzen zu forschen. Innerhalb des Literaturfests ist das Literaturhaus in München ein zentraler Ort. „Wir freuen uns, Raum zu geben für Kreativität und Inspiration!“ hat der Leiter des Literaturhauses und Geschäftsführer des Literaturfestes München, Reinhard Wittmann, in seinem Blogbeitrag geschrieben. Der Raum wird weit. Aber, wie hat es Voltaire schon gesagt. „Die nützlichsten Bücher werden zur Hälfte von den Lesern selbst gemacht„. Heute würde man das ergänzen: die nützlichsten Räume auch.

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