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Iliou melathron

Blog von Christian Gries / ISSN 2197-7747

Sturmgeläut – Bloggen in Deutschland

Sturmgeläut – Bloggen in Deutschland

Anfang Juni hatte Steffen Peschel in einem Post „Kennen Sie die twitternden deutschen Blogger/Innen?“ auf seinem Blog Kultur2Punkt0 die mangelnde Vernetzung der deutschen Blogger untereinander konstatiert. Als Reaktion hat er eine öffentliche Liste initiiert, in die sich Blogger eintragen können. In unmittelbarer Folge haben auch Christian Henner-Fehr, Sebastian Drägerdt und Ulrike Schmid auf Steffens Analyse Stellung bezogen. Der Kulturmanager monierte die „fehlende Vernetzung und Kooperation“, Sebastian Drägerdt beklagte den „Linkgeiz“ in der deutschen Bloggossphäre und Ulrike Schmid fragte nach der „persönlichen Note“. Steffen Peschel hat zwischenzeitlich auf Basis der Eintragungen in seine Liste eine Blogschau gestartet und berichtet wiederholt über seine Impressionen aus der digitalen Landschaft.

Die Bloggerliste
Ob man nun über eine „Liste“ wirklich Schwung in deutsche (Kultur-)Bloggerlandschaft bringen kann, wage ich ein wenig zu bezweifeln (zumal es ja schon jede Menge Bloggerverzeichnisse gibt). Steffen hat in seinem Post den Impulscharakter seiner Initiative aber auch deutlich gemacht. Zumindest auf Google+ und vereinzelt auch auf Twitter habe ich nach meinem Eintrag in seiner Liste (die aktuell bereits fast 90 Blogs listet) auch neue Follower (auf Google# und Twitter) bekommen. Definitiv bin ich durch die Liste auch auf einige mir noch unbekannte Blogs gestoßen und kann den Blick auf diese Übersicht folglich empfehlen. Leider hat die Medaille aber zwei Seiten: je mehr sich auf der Liste eintragen, umso unübersichtlicher wird das Teil. Schon jetzt geht’s munter über Themen wie Fitness, Sport, Gesellschaft, Philosophie, Kultur oder SEO hinweg. Mehr als ein Initial möchte ich daher so einer Liste nicht zuzutrauen.
Wie Ulrike lese ich über Google Reader (bzw. entsprechende Apps und Tools) ca. 150 internationale Blogs und RSS-Feeds aus den mich interessierenden Themenkreisen synchron mit und reagiere bzw. interagiere mit diesen Nachrichten. Dies tue ich gelegentlich via Kommentarfunktion auf dem Blog selbst, vielfach aber auf flankierenden Kanälen (überwiegend Facebook und Twitter, gelegentlich Google+).  Wenn wir also über die Vernetzung nachdenken, muss diese ganzheitlich gesehen werden und alle sozialen Kanäle umfassen.

Sascha Lobo
Sascha Lobo, Deutschlands bekanntester Blogger. (Re: Publica | flickr | cc-by 2.0)

Sturmgeläut
Ein wenig erinnert mich das Sturmgeläut auch verhalten an den überdeutlichen Sascha Lobo, der auf der re:publica 2011 (!) die Bloggerszene pointiert beschimpfte: „Ihr seid zu leise oder zu blöd“. Lobo betitelte damals Deutschlands Bloggergemeinde als eine Ansammlung verhuschter Nerds, denen Spezialthemen und eine Handvoll gleichgesinnter Kommentatoren wichtiger seien als die offensive Verbreitung relevanter Inhalte. Steffens Ansinnen ist sicher deutlich weniger aggressiv, in der Stoßrichtung aber ähnlich und genauso treffend. Klar geht’s um Vernetzung, Crosslinking und Interaktion. Und womöglich reiten wir auch alle gerne auf Spezialthemen herum, die niemals eine breite Masse wie bei den Auto- oder Modeblogs erreichen wird. Nicht jeder ist eine Rampensau und nur zu gern „ersetzt der Irrende durch Heftigkeit, was ihm an Wahrheit fehlt“ (Goethe).
http://de.hypotheses.org/

Gemeinschaftsblog
Christian Henner-Fehr informierte dann in seinem Blogpost über aktuelle Vernetzungsstrategien im digitalen Raum. Während ich für die Blogger eher ein „gemeinsam weniger einsam“ gelten lassen wollte, folgten Jörn Brunotte und Michael Müller von Culture to Go auf dem letzten Berliner stARTtogether eher einem „gemeinsam sind wir stärker“ und schlugen ein thematisches Gemeinschaftsblog für Museen vor (Berichte darüber bei Karin Janner und Hie Suk). Mit so einer Initiative würde sicher nicht nur den Museen ein spannendes Portal an die Hand gegeben, sondern auch die Wahrnehmung des digitalen Raumes in den Institutionen und dessen Wertigkeit (im Wahrnehmungshorizont der Entscheider und im Kontext der klassischen PR-Strukturen) befördert. Eine Aufwertung der Blogs in den Institutionen könnte dann auch die Blogger leveln. Schöne Sache also. Tatsächlich haben wir bei der MUSEO-Blogparade die Bereitschaft vieler Museen für ein Blogposting erlebt und gerade auch die Schwierigkeiten bei der Umsetzung (kaum ein Museum hat einen eigenen Blog) kennen gelernt. Gemeinschaftsprojekte wie de.hypotheses.org, Science-Blogs oder Portale wie theaterblogs.de könnten hier vielleicht Anregungen und Hilfestellungen liefern. Aus der langjährigen Zusammenarbeit weiß ich aber auch um den Horror vieler Institutionen vor einem Blog (Personalprobleme, Arbeitslast, Verpflichtung zum regelmäßigen Posting, ungeklärte Redaktions- und Verantwortungshierarchien etc.) und ahne hier eine Menge Motivations- und Kommunikationsaufgaben. Ein weites Feld.
Die Möglichkeiten des Mediums
Im September 2011 haben wir im Kontext der Schließung des Blogs DaCapo der Duisburger Philharmoniker eine spannende Diskussion über Sinn und Unsinn von Kulturblogs geführt. Axel Kopp, dessen Blog ich sehr gerne und immer mit Gewinn lese, hatte damals eine provokante These über den „Tod der externen Blogs von Kultureinrichtungen“ initiiert. Im Gegenzug haben einige Blogger geantwortet, stellvertretend sei hier Marco Eisenack zitiert: „(…) Hier sind noch lange nicht alle Möglichkeiten des Mediums ausgeschöpft. Aus diesen Gründen herrscht in unserer Redaktion auch weiterhin experimentierfreudige Aufbruchstimmung (…)“. Vielfach haben in Deutschland die Blogs noch lange nicht die Wahrnehmung und Akzeptanz, die sie verdienen. Bei Daniel Rehn liest sich das so: „(…) Nun gibt es bereits eine aktive Blogosphäre in Deutschland, die aber nach wie vor nicht den Sprung weg vom Nischendasein geschafft hat. Bloggen hat immer noch den Status des eigensinnigen Web-Tagesbuch- oder “ins Internet”-Schreibens. Von den Medien belächelt – und viel zu selten ernsthaft verlinkt -, von Nicht-Bloggern nach wie vor missverstanden und je nach Thema und Branche komplett verkannt. Und eine tatsächliche Herausbildung anerkannter Köpfe, die repräsentativ für die Tausenden von Bloggern im Web stehen könnten, gibt es kaum mehr. Mario Sixtus, Sascha Lobo, Robert Basic, Stefan Niggemeier, Richard Gutjahr, Sascha Pallenberg. Die Liste jener, die diesen Anspruch erfüllen oder einst erfüllt haben, sie ist kurz geworden (…)“. Auf der letzten Re:publica war es dann wieder Lobo, der massiven Aktionismus und „mehr Blogs“ forderte: „(…) Bürger zu Bloggern, das Blog ist die digitale Stimme des Einzelnen. (…)“. Es wird wohl keine technische Lösung, die hier Erlösung bringen kann. Es geht um gesellschaftliche, kulturelle und medienpolitische Fragestellungen. Es geht wohl auch ums Missionieren. Und es geht ganz sicher auch um Initiativen und Plattformen wie die re:publica oder stARTconference, die die beteiligten Blogger und die interessierte Gemeinde nutzen sollten, sich zu vernetzen und zu inspirieren. Als Orte der analogen und digitalen Begegnung ist die Wirkung dieser Brutstätten digitaler Kultur von enormer Bedeutung und so bin ich heilfroh, dass die stARTconferenc 2013 eine neue Runde plant. Liebe Leute, lieber Christoph Deeg, Socialmedia ist nicht langweilig geworden, allenfalls sind wir es selber!
Peter Kröning, Sturmwarnung, 2008 (Bildquelle: http://bit.ly/L5Tvnh)
Peter Kröning, Sturmwarnung, 2008 (Bildquelle: http://bit.ly/L5Tvnh)

Eine Frage des Themas und eine Frage des Stils
In jedem Fall ist es gut und hilfreich, wenn Bewegung in die Materie kommt. Den von Ulrike Schmid geführten Hinweis auf die „persönliche Blognote“ verstehe ich als Appell an die eigene Kreativität. Ich arbeite in meinen Beiträgen gerne mit Zitaten nicht nur wegen meiner persönlichen Leidenschaft für die Kultur, sondern nutze diese auch ganz bewusst als Narrativ und Mechanik: das Zitat bedeutet für mich auch eine Variante der Vernetzung, – des Crosslinkings mit der Geschichte. Über die Spuren von Goethe, Schiller oder Thomas Mann steigt man gelegentlich leichter in allzu technische oder PR-fundierte Zusammenhänge. Und wenn man im eigenen Zielpublikum dann eben auch (womöglich sogar reichlich) kultur-konservative Leser hat, schluckt man den in Goethe „gelösten“ Lobo oder Zuckerberg vielleicht etwas leichter…

4 comments

  1. Lieber Christian, ein großartiger Beitrag, der vieles richtig boabachtet und zusammen fasst. Letztlich gärt in mir aber in den letzten Wochen zunehmend ein Gedanke, den ich unter dem Arbeitstitel „Don’t call it a blog, call it a page….“ in meinen Synapsen rumoren lasse. Noch lange nicht ausgegoren, aber….. Sorry, muss daran jetzt dringend weiter denken.

    1. @cdv: An dem ist was dran, aber meiner Meinung nach kommt es immer auf die Aufmachung an. Das was drin steht ist am Ende doch noch wichtiger. – übrigens auch von mir: Super Beitrag! Danke Christian!

  2. Pingback: Zeitspringer-Blog

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